Zur Information für alle Neu-Leser:innen. Meine Buchbesprechungen sind nie Rezensionen. Denn sie beziehen immer mit ein, was mich persönlich beschäftigt. Deshalb lasse ich manchmal etwas aus und füge hinzu, was das Buch in mir ausgelöst hat.
Und dieses Buch hat einen neuen Kurs bei mir reifen lassen:
Auch 2024 wird es den Kurs Stimme und Meditation bei mir wieder geben.
Angeregt zu diesem Thema hat mich 2022 das Buch von Marianne Bentzen: Neuroaffektive Meditation – Grundlagen und praktische Anleitungen für Psychotherapie, Alltagsleben und spirituelle Praxis. Meditation im Dialog mit Neurobiologie und Entwicklungspsychologie.
Mich selbst beschäftigt das Thema Meditation schon sehr lange. Seit fast 20 Jahren fahre ich in Abständen auf den Benediktushof zum kontemplieren, zum sitzen. Und auch zu Hause habe ich über viele Jahre sehr regelmäßig gesessen.
Und das hat etwas mit meiner Stimme gemacht. Ich habe gerade neulich auch darüber einen Blogartikel geschrieben.
Doch zurück zu dem Buch von Marianne Bentzen. Was mich daran so inspiriert hat, ist ihre Sichtweise und ihre Verbindung von Nervensystem, Meditation und Entwicklungspsychologie. Im theoretischen Teil fand ich die Titelüberschriften schon sehr interessant.
Die Kapitel des Buches:
Kapitel 1: Psychotherapie, Persönlichkeitsentwicklung und Meditation.
Das war etwas, was ich im Rahmen meiner vielen Fortbildungen zum Thema Körperpsychotherapie immer wieder entdeckt habe. Irgendwie hingen alle Therapien, die mich wirklich weiterbrachten, damit zusammen, dass ich mich mehr und mehr für Meditation interessierte und dass sie meine Persönlichkeitsentwicklung förderten.
Kapitel 2: Erwachsen werden und erwachen
Marianne Bentzen schreibt hier unter anderem über Narrative. Das sind Geschichten, die wir uns und anderen immer wieder über uns erzählen. Sie dienen dazu, einen zusammenhängenden Sinn für unser Leben zu finden. Ich selbst habe es manchmal in Momenten der Gnade und Stille in der Meditation fühlen können, wie sich diese Narrative auf einmal aufzulösen begannen und ich nicht mehr wusste, wer ich im Tiefsten bin, wenn die Geschichten auf einmal wegfallen. Das war zu Beginn beängstigend und später eher befreiend.
Und dann schreibt sie über die Gefahr, im meditativen Prozess gleichgültig zu werden, wenn es immer wieder um den Gleichmut geht, sodass uns nicht alle Ereignisse aus dem Gleichgewicht bringen können. Ein wichtiges Thema, wie ich finde.
Und sie spricht über Ken Wilber, ein Philosoph, den ich sehr schätze. Es geht dabei um die emotionale Reifung, die wir brauchen, damit wirkliche Persönlichkeitsentwicklung stattfinden kann. Die Unterscheidung zwischen prä- und trans. Ein Kind, was völlig mit sich im Einklang spielt, ist auf einer anderen Entwicklungsebene als ein Erwachsener, der diesen Einklang in der Meditation und dann auch im Alltag gefunden hat. Wenn es gut geht, gehen wir nicht zurück zu etwas, sondern vorwärts.
Wie gut, dass Marianne Bentzen dieses Thema anspricht, denn allzu oft hören wir, wir müssen wieder wie die Kinder werden. Das steht auch in der Bibel. Aber darum geht es eben nicht. Das ist leider nicht Entwicklung und führt uns nicht ins Erwachsenwerden hinein.
Kapitel 3: Verkörperung, Emotionen und Identität – die Entwicklung des dreieinigen Gehirns in der Kindheit
Ein interessantes Kapitel, auch wenn man das Dreieinige Gehirn heute nicht mehr in dieser Art beschreiben würde. Denn es scheinen Erkenntnisse vorzuliegen, dass wir sowohl von der Evolution aus betrachtet als auch aus neuroanatomischer Sicht noch etwas mehr Strukturen mit einbeziehen und auch andere Verknüpfungen in die Evolution herstellen sollten. Und doch zeigt es ein Prinzip, dem wir Menschen in unserer Entwicklung und Sozialisation unterliegen.
Eine der Hauptfragen ist: Was ist Reife und was macht einen reifen Menschen aus? Das sind Gedanken, mit denen ich mich auch schon viel beschäftigt habe. Doch ich lasse Marianne Bentzen selbst zu Wort kommen:
Die Fähigkeit, sich zu entspannen und zu erholen, sich mit anderen zu synchronisieren, angesichts von Belastungen resilient zu sein und mit hohen Energieniveaus umgehen zu können, hängt von der Reifung des autonomen und sensorischen Systems ab.
Und womit sie mich immer wieder für sich gewinnt, sind die Bilder, die sie aus dem Bereich der Musik benutzt. Da fühle ich mich natürlich als Musikerin sehr abgeholt und es bringt das Thema in meine Erlebniswelt. Deshalb bin ich auch durch dies Buch so stark inspiriert worden, selber Meditationen zu entwickeln, die sich mit dem Zusammenhang von Stimme und Meditation befassen.
Kapitel 4: Die Jugendjahre und das “Umbauprojekt” der Identität
Es startet mit der Zwischenüberschrift: Der Umbau dessen, wer man ist. Und weiter geht es mit der Gehirnentwicklung über die einzelnen Altersstufen. Sie teilt hier sehr bewusst in frühe, mittlere und späte Jugendjahre. Was für wunderbare Erkenntnisse, die ich im Nachhinein über meine eigene Pubertät haben durfte. Und auch das Verständnis beispielsweise für die Entwicklung der eigenen Kinder nochmal von einer anderen Seite gezeigt zu bekommen ist toll und spannend.
Kapitel 5: Erwachsen sein, älter und vielleicht weise werden
Wie nett, dies “vielleicht weise” werden. Denn man wird nicht automatisch mit dem Alter weiser. Das war mir schon immer klar, gerade wenn ich ganz bestimmte ältere Menschen in meinem Umfeld erlebe. Er gibt auch für die Weisheit Bedingungen, die damit zu tun haben, was man in seinem Leben macht und woher man kommt, was die Gehirnentwicklung angeht.
Denn eine spannende Frage, die sie stellt, ist: Wann ist das Gehirn reif? Und sie endet mit einer anderen Frage: Vielleicht hat ja die Evolution immer wieder nach der Fähigkeit selektiert, im Altern ein hohes Maß an sozialem Verständnis und Einfühlungsvermögen zu entwickeln?
Sie beschreibt sehr genau in Zehnerschritten, was im Gehirn von 18 Jahren bis zum Tode geschieht. Wow, was für eine tolle Differenzierung.
Kapitel 6: Weisheitspraxis und Gehirnregulation
Was mich hier neben vielen anderen Themen besonders angesprochen hat, ist der Zusammenhang zwischen Meditation und Trauma. Da konnte ich sofort andocken. Denn ich habe in den ersten Jahren, nachdem ich vom Benediktushof kam, immer ganz furchtbare Vorstellungen gehabt, wenn ich wieder zu Hause war. Auf einmal malte ich mir ständig Katastrophenszenarien aus. Das hielt ca. 3 Wochen an und ging dann wieder. Aber es führte dazu, dass ich eine längere Meditationspause einlegte. Und ich fing wieder an zu meditieren, als ich die Ausbildung für Somatic Experience machte, weil ich auf einmal lernte und begriff, wie das autonome Nervensystem funktioniert und wie wir uns regulieren können.
Bentzen geht auch hier auf die Reife ein, aber auch auf die emotionalen Zustände des limbischen Systems und die Flucht-Kampf-Mechanismen. Das finde ich so wichtig, weil wir häufig mit Meditation verbinden, dass wir uns endlich von der emotionalen Anhaftung lösen sollen. Und es ist eben vielschichtiger.
So wie die Geschichte von dem Mönch, der meditiert und nicht zuckt, als ein Gewehr neben ihm abgefeuert wird. Die einen sagen: was für eine tiefe Meditation, dass ihn nichts stören und in die Erregung bringen kann. Die anderen sagen: dieser Mönch ist dissoziiert, denn er kann nicht mehr auf die normalen biologischen Zeichen der Unsicherheit und Gefahr reagieren.
Wie spannend, diese Themen genauer zu beleuchten.
Kapitel 7: Meditation, Gebet und das Gehirn
Hier setzt sie verschiedene Meditationsformen mit dem Gehirn in Verbindung. Sie beschreibt genau Strukturen des Gehirns, die aktiv sind, sie schreibt über Bewusstsein und auch Atmung.
Und die Frage: Ist Gott das Nebenprodukt einer gestörten Hirnaktivität, ist schon recht provozierend formuliert. Sie vergleicht östliche mit westlichen Weisheitstraditionen und spricht auch hier wieder über Trauma und seine Verbindung zu unserem Höheren Selbst.
Kapitel 8: Im Körper sein
Kapitel 8 ist die Einleitung für die Meditationen, die dann folgen. Denn sie verfolgt einen etwas anderen Ansatz, wenn es darum geht, Meditationen anzuleiten.
Auch hier sprach mich eine Zwischenüberschrift sehr an: Was uns im tiefsten Inneren bewegt, ist nicht zahm. Etwas, was ich selber in der Meditation immer wieder erlebt habe. Nach außen sitzt man scheinbar ruhig auf seiner Matte und im Inneren kann ein Orkan toben. Denn hier in der Stille sind wir so oft mit unseren Dämonen konfrontiert, wie fast zu keiner anderen Zeit im Leben.
Die weiteren Kapitel des Buches
Die weiteren Kapitel sind den praktischen Meditationen gewidmet. Der Text ist genau abgedruckt und sie gibt ein paar sehr wertvolle Erläuterungen. Man kann die Meditationen in Deutsch/Englisch und nur Englisch auf der Seite des Verlags herunterladen und dann geführt erleben. Das finde ich sehr schön und ich habe fast alle der Meditationen selbst mitgemacht.
Und hier kannst du das Buch bestellen. Direkt bei Probst Verlag, wo du dir dann auch die Meditationen herunterladen kannst.
Was ich aus diesem Buch für mich gezogen habe
Ganz zu Beginn schreibt sie etwas sehr Schönes über das Meditieren, was ich aus eigener Erfahrung so gut kenne, weil ich in diese Falle immer wieder hineingetappt bin:
Es ist durchaus so, dass viele Meditationsformen das Sitzen und die körperliche Bewegungslosigkeit als Instrument der Unterweisung benutzen. Wenn man meditiert, geht es jedoch nicht darum, eine Leistung zu erbringen, und eigentlich auch nicht um das Stillsitzen – ebenso wenig wie es beim Kochen um die Töpfe geht.
Über den letzten Vergleich musste ich sehr lachen. Ja, ich persönlich mache aus fast allem eine Leistung und das habe ich auch beim Sitzen gemacht. Genau wie beim Singen. Aber darum geht es nicht in erster Linie. Sie schreibt über ihre Meditationen:
…steht das Lauschen im Mittelpunkt – und zwar nicht nur mit den Ohren, sondern in Ihrem gesamten Körper, mit all Ihren Sinnen, mit all Ihren Gefühlen – und mit all den feinfühligen Räumen Ihres Bewusstseins… Dieses Lauschen gilt der intimen, tiefsten und innersten Präsenz im Leben, so wie es sich gerade entfaltet und wie auch immer es sich in jedem Augenblick zeigen mag.
Und das sprach mich als Sängerin total an. Denn das ist es, was ich tagtäglich tue, jedenfalls an den Tagen, an denen ich singe. Und diese Präsenz kann ich im Singen immer wieder erleben. Das möchte ich in meinen Kurs Stimme und Meditation einbringen. Diese Art des Zugangs zu meiner Stimme. Und ich glaube, das würde viele Menschen ansprechen, die selber singen und ihnen neue Ideen über sich geben.
Hast du Lust, dabei zu sein?
1 Kommentar zu „Buchbesprechung: Neuroaffektive Meditation“
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