Das hier ist mein Manifest zum Gesangsunterricht, zur Gesangspädagogik. Braucht es dazu ein so starkes Wort wie MANIFEST? Meines Erachtens schon, denn Gesangsunterricht kann auf so viele unterschiedliche Arten und Weisen erteilt werden, dass ich es wichtig finde zu wissen, was die Grundannahmen sind, auf die die jeweilige Lehrperson sich stützt.
Mein Gebiet ist der Gesangsunterricht und das Gesangsmentoring. Und für mich gibt es klare Regeln. Manche sind eher allgemein, andere sehr spezifisch. Und wenn du mit mir arbeitest, kannst du sicher sein, dass ich darauf Wert lege und auf alle Fälle eine Achtsamkeit für diese Themen habe.
- Als Gesangslehrer:innen ist es für uns das Wichtigste, die Sicherheit unserer Schüler:innen zu garantieren. Das bezieht sich natürlich auf äußere Dinge, aber auch auf ihre inneren emotionalen Welten.
- Gesang und die eigene Stimme sind sehr persönliche Ausdrucksformen. Und deshalb verdienen unsere Schüler:innen immer Behutsamkeit und Schutz in der Arbeit mit ihrer Stimme.
- Ein:e Sänger:in zu werden bedeutet, das eigene Leben wirklich zu leben. Und dazu ist es wichtig, sich selbst kennenzulernen. Das sollte von der Gesangspädagogin unterstützt und respektiert werden.
- Wenn einer Sängerin etwas weh tut, sollten wir ihr nicht raten, einfach mehr zu üben. Schmerzen heißen immer, dass etwas nicht stimmt, egal wie schön es klingt. Das Wohlbefinden unserer Sänger:innen sollte an erster Stelle stehen.
- Eine gute Sängerin ist noch lange keine gute Lehrerin.
- Gesangsschülerinnen zu unterrichten, bedeutet, Verantwortung zu übernehmen.
- Ohne Kenntnis der Stimmfunktion ist kein guter Gesangsunterricht möglich. Anatomie, Physiologie und Psychologie sind wesentliche Bestandteile innerhalb der Gesangspädagogik. Von fehlendem Talent zu sprechen, wenn die Lehrperson nicht weiß, wie man eine Stimme wirklich aufbaut, ist in hohem Maß unethisch und zeugt von wenig Kenntnis der Stimmfunktion.
- Eine Gesangspädagogin, die sich nicht fortbildet, wird irgendwann nicht mehr hilfreich für ihre Schüler:innen sein.
- Respektvoller Umgang miteinander ist auch in der Gesangspädagogik enorm wichtig. Eine Gesangslehrerin, die ihre Schüler:innen in öffentlichen Räumen oder im privaten Gesangsunterricht bloßstellt, indem sie sie karikiert, nachäfft, anschreit oder despektierlich behandelt, verdient den Namen Pädagogin nicht.
- Berühmtheit gibt niemandem die Erlaubnis, Schüler:innen schlecht zu behandeln.
- Pädagogische und methodische Kenntnisse sind für das Unterrichten essenziell. Sonst handelt es sich um reine Glückssache und kann nicht professionell genannt werden.
- Reines Vorsingen und Nachsingen bringt die Schüler:innen weder in ihre Eigenwahrnehmung noch zu ihrer eigenen Stimme. Sie werden eine wie auch immer geartete Kopie eines Lehrers bleiben. Im günstigsten Fall übernehmen sie nur seine Ästhetik.
- Intonation beim Singen ist keine Frage des Hörens. Meine Erfahrung ist, dass sich Intonation von selbst erledigt, wenn die hohen und tiefen Schwingungen in der Stimme durch eine angemessene Technik ausgeglichen sind. Das Insistieren auf der Intonation verunsichert die Singenden und führt in eine Sackgasse.
- Sollte es notwendig erscheinen, Schüler:innen innerhalb einer Gesangsstunde zu berühren, ist es wichtig, die Erlaubnis zu erfragen. Und das auf eine Art, dass sie ohne Gesichtsverlust oder Nachteile für sich selbst und ihre Stimme, Nein sagen können. Ohne Einverständnis ist das ein No-Go im Unterricht.
- Kommunikation ist mir wichtig. Jede Schülerin, jeder Schüler darf zu jeder Zeit eine Übung, sei es eine Stimm- oder Körperübung ablehnen. Wir finden für alles Alternativen.
- Die Begriffe Richtig und Falsch sind im Gesangsunterricht nicht wirklich angebracht. Vielleicht manchmal, wenn es um eine falsche Note geht, die man singt. Aber selbst Intonation ist kein Thema von richtig und falsch. Ich arbeite mit Vergleichen, die mehr die Qualität und Andersartigkeit beschreiben.
- Ich setze immer bei dem an, was gut und effizient geht. Wenn wir bei den „Fehlern“ starten, die uns Schwierigkeiten machen, haben wir keinen Punkt, an dem wir uns orientieren können, um die Stimme leichter und effizienter benutzen zu können.
- Meine Annahme ist, dass jede Schülerin, jeder Schüler grundsätzlich sein oder ihr Bestes gibt. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass jemand aus reiner Bosheit oder Faulheit falsch und hässlich singen möchte.
- Wir alle sind auf der Suche nach einem ehrlichen Stimmausdruck.
- Unser Stimmklang hat sehr viel mit unserer Individualität und unserer Identität zu tun. Deshalb sind wir bei Urteilen über unsere Stimme auch extrem angreifbar und sehr sensibel. Das sollten wir als Pädagog:innen im Blick behalten.
- Singen und Leben sind eins, wir können beides nicht voneinander trennen.
9 Kommentare zu „21 Do’s and Don’ts in der Gesangspädagogik – mein Manifest“
… unterschreib *kratzenvonfüllfederhalteraufpapier*
😂 Danke liebe Anne. Das freut mich, deine Unterschrift auf meinem Manifest zu sehen
Absolute Zustimmung bei Punkt 1 bis 21, liebe Hilkea!
Auch, wenn ich zurzeit aus den bekannten Gründen nicht unterrichte, stimme ich in allen Punkten voll zu!
Vielen Dank für dieses Manifest, dass der BDG tatsächlich mal so aufnehmen könnte 🙃!
Liebe Grüße!
Bernadette
Danke dir, Bernadette, das tut gut zu lesen. Der BDG, das wäre was 😉
Der BDG steht soweit ich es überblicken kann keinem dieser Punkte entgegen und viele der Punkte werden sowohl durch unseren Kodex, als auch durch die Fortbildungspflicht unserer Mitglieder, der Akademieprogramme, der Plattformen zum Austausch abgedeckt. Hinzu kommen die Rahmenlehrpläne, die zwischen BDG und VdM entstanden sind und jetzt ins Lektorat gehen.
Ja, ein Verhaltenskodex ist theoretisch Teil schon seit Anbeginn des BDG an, da hast du total recht, Mirko. Auch wenn es sich jetzt nochmal, was das Qualitätsmanagement angeht, erweitert und sicherlich verbessert hat.
Und gleichzeitig ist die wesentliche Frage immer die, die sich dann persönlich im Unterricht entscheidet, was von wem in der Praxis wirklich umgesetzt wird. Und das ist nichts, was öffentlich diskutiert werden kann, denn es ist diffizil.
Vielen Dank fuer das Manifest, Hilkea. Ich finde es ist total so und stimme zu!
Den Nagel gleich 21 Mal in Folge auf den Kopf getroffen… *Daumen hoch*
Ich würde jedes Wort unterschreiben und bin der Meinung, dass jeder der in Institutionen wie Musikhochschulen, Universitäten unterrichtet, das Manifest unterschreiben müsste und daran gegebenenfalls gemessen werden muss.
Am 5.11. gab es ein Werkstattgespräch an der Musikhochschule Würzburg zum Thema Musikermedizin. Sinngemäß hat eine Studentin es sehr passend auf den Punkt gebracht. Sie meinte, dass die Studierenden da schon viel verstanden hätten. Das Problem liege oft an den Hauptfachlehrern und ihrer doch sehr eingeschränkten Sicht auf die Dinge.