Kieferöffnung, Singen und der Trigeminus Nerv, das ist eine wichtige Allianz beim Singen. Viele Wege führen bekanntlich nach Rom und auch viele Wege führen zu einer Kieferöffnung.
Die kann und sollte allerdings immer unterschiedlich sein, je nachdem was wir so vorhaben.
Beim Gähnen öffnen wir den Kiefer auf eine andere Weise als beim Singen.
Na, hast du auch gerade schon angefangen zu gähnen, als ich nur das Bild in deinem Kopf inspiriert habe? Ich jedenfalls musste gleich gähnen. Und jetzt schon wieder. Ich sollte das Wort nicht mehr schreiben, sonst höre ich gar nicht wieder auf. 😅
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Doch zurück zu den unterschiedlichen Weisen der Öffnung unseres Kiefers.
Ich möchte in diesem Artikel sowohl die muskuläre als auch die neurologische als auch die psycho-emotionale Seite unter die Lupe nehmen.
- Wer schließt den Kiefer?
- Wer öffnet den Kiefer?
- Wer innerviert denn die Muskeln, die es uns erlauben, dass der Kiefer geöffnet wird?
- Welche Emotionen verbergen sich immer mal wieder hinter einem fest zugebissenen Kiefer?
Die wichtigen Muskeln in der Kieferbewegung
Die Kieferschließer
Schauen wir uns zuerst die Schließermuskeln des Kiefers an:
Da haben wir den M. masseter. Er hat sogar eine tiefe und eine oberflächliche Schicht und ist im Vergleich zu seiner Größe der kräftigste Muskel im Körper. Warum wohl? Weil es echt wichtig ist, dass wir den Mund richtig schließen können. Keine Öffnung ist muskulär so stark geschützt wie unser Mund. Ihm zu Hilfe eilt dann der M. pterygoideus medialis. Und die beiden verbindet eine fasziale Struktur am Unterkiefer. Also richtig kraftvoll in der Zusammenarbeit.
Und dann hilft uns noch der M. temporalis, ein großer flächiger Muskeln, der noch das Gelenk von oben beeinflussen kann. Also wenn die drei so richtig loslegen, da muss man schon ein starkes Gegengewicht haben.
Noch bessere Bilder und weiterführende Erklärungen findet ihr hier in einem kurzen Dokument aus dem Thieme Verlag. (Ihr könnt den Link ruhig klicken, er funktioniert, auch wenn das System etwas Anderes anzeigt.)
Die Kieferöffner
Hier müssen wir jetzt sehr genau unterscheiden, welchem Ziel unsere Kieferöffnung dient. Wollen wir einen BicMac essen und möglichst wenig Sauerei dabei anrichten oder brauchen wir eine differenzierte Kieferöffnung, die uns sowohl eine genügend große Vokaltraktöffnung garantiert als auch gleichzeitig eine gute Möglichkeit für differenzierte Zungenbewegung für Artikulation? Das ist ein großer Unterschied, der manchmal nicht gesehen wird.
Von Anatomen können wir nicht erwarten, dass sie auf unser sängerischen Bedürfnisse eingehen. Deshalb finden wir in den Büchern folgende Muskeln zur Öffnung:
- M. geniohyoideus
- M. mylohyoideus
- M. digastricus, venter anterior (vorderer Bauch)
- M. stylohyoideus
- M. pterygoideus lateralis
Und last but not least sollten wir eins bei der Öffnung des Kiefers nicht vergessen: die Schwerkraft.
Die Muskeln, die die Zunge zu stark für die Kieferöffnung einspannen, nutzen uns nur sehr bedingt, denn die Zunge brauchen wir sehr differenziert zur Vokaltraktgestaltung und zur Sprache beim Singen. Mehr zur Zunge und dem Singen? Darüber habe ich auch schon ausführlicher geschrieben.
Also setzen wir am günstigsten auf den M. digastricus, venter anterior und die Schwerkraft. Die anderen werden mit dabei sein, aber nicht federführend.
Trigeminus (V) am Beispiel der Kieferöffnung
Unter Punkt 3 oben hast du richtig gelesen, ich schrieb über Erlaubnis. Also nicht: Wer macht’s, sondern wer ist dafür zuständig, es zu erlauben? Das ist nämlich ein großer Unterschied. Auch wenn wir Kieferöffnungsmuskeln haben, so muss es doch immer eine Erlaubnis der Schließer geben, wenn der Kiefer auf eine sinnvolle Art beim Singen geöffnet werden soll.
Und da kommt die Neurologie ins Spiel, auf unterschiedliche Arten und Weisen.
Der Name des wichtigsten Nervs sagt uns, dass er etwas mit der Zahl drei zu tun hat. Ich mache jetzt kein großes Ratespiel daraus, worauf sich die 3 wohl bezieht: Er hat drei größere Äste und einer davon ist für die Kieferschließung zuständig.
Und bevor jetzt der Abschnitt für die Nero-Nerds kommt, hier nochmal mein Angebot, mehr über die Kieferöffnung zu erfahren und vor allem auch mit meiner Begleitung eine Übung auszuprobieren: Mein Stimm-Booster mit drei Videos für 0,- € in deinem Postfach.
Und jetzt: Nerds bitte weiterlesen, aber wer es nur ungefähr wissen möchte, überspringe diesen Abschnitt sehr gern und gehe weiter zu den Abschnitten, woher es kommt und vor allem, was du an Übungen machen kannst. Denn jetzt geht es um die Nerven der Nerven und deren Nerven. Und das kann beim Lernen und Lesen manchmal echt nerven. 😅
Der 3. Ast (V3), Nervus mandibularis
Dieser Ast hat wieder verschiedene kleinere Nerven, die dann die einzelnen Muskeln motorisch innervieren. (Motorisch heißt übrigens immer: mach action, bro. Nichts mit fühlen und entspannen und so)
Wir schauen uns nur die an, die für Kieferöffnung beim Singen interessant sind.
Aus dem Nervus mandibularis gehen folgende Nervenästlein hervor:
N. mylohyoideus
Der N. mylohyoideus innerviert:
- unseren wunderbaren Kieferöffner, den M. digastricus, venter ant.
- und den nicht so geeigneten M. mylohyoideus
Interessant ist an der Stelle, dass der venter posterior von einem anderen Hirnnerven, dem N. Facialis innerviert wird. Die beiden sind also eine interessante anatomische Einheit, aber keine neurologische.
N. massetericus
Dieser Nerv, der auch aus dem V3 kommt, innerviert den M. masseter, unseren kräftigsten Kieferschließer. Und er sendet sensorische Informationen zum Temporo-mandibulären Gelenk, kurz Kiefergelenk. Das ist interessant für uns in der ganz praktischen Anwendung, wenn es um die leichtere Kieferöffnung beim Singen geht. (Übrigens sensorisch ist eher: chill mal, Alter und fühle rein und schick ein paar Infos ans Gehirn, das reicht an action).
Nn. temporales profundi
Das sind verschiedene kleine Nerven, die auch aus dem V3 kommen und den Temporalis, ebenfalls ein wichtiger Kieferschließer innervieren.
Es gibt dort auch noch spannende Verbindungen zum M. buccinator und auch dem M. pterygoideus medialis. Aber das führt hier leider zu weit, obwohl ich schon wieder merke, wie meine Erklär-Bärin in mir sofort loslegen will und dir die gesamte anatomische, stimmphysiologische und neurologische Welt erklären will. Ruhig, Braune! Alles zu seiner Zeit.
N. pterygoideus medialis
Der Nerv heißt auch so wie der Muskel, den er versorgt.
Und er hat Verbindungen zum M. tensor tympani, ein wichtiger Hörnerv. Auch spannend, aber siehe oben: Ruhe, Erklär-Bärin.
N. pterygoideus lateralis
Dieser Nerv versorgt, wie sein Name schon sagt, den M. pterygoideus lateralis. Er leitet übrigens die mühelose Kieferöffnung ein, indem der Kiefer erst einmal LEICHT nach vorne gehen darf. Wenn wir ihn allerdings zu weit nach vorne schieben und ist Schluss mit lustig, will sagen, dann ist die Kieferöffnung nicht mehr günstig fürs Singen und leicht ist sie auch nicht.
M. geniohyoideus
Dieser Muskel ist der einzige der Kieferöffner, der nichts mit dem Trigeminus zu tun hat, sondern von einem anderen Hirnnerven, dem N. hypoglossus innerviert wird.
Warum ist Erlaubnis bei der Kieferöffnung wichtig?
Vielleicht hast du dich gewundert, dass ich oben über die Erlaubnis bei der Kieferöffnung beim Singen geschrieben habe. Öffnen wäre eigentlich gar nicht so schwierig, wenn nicht viel kräftigere Muskeln an der Schließung beteiligt wären. Der M. masseter ist der kräftigste Muskel im Verhältnis zu seiner Größe und man muss eine Menge Power und viele weitere Muskeln mit nutzen, um gegen ihn anzukommen, wenn er nicht möchte, dass sich der Kiefer öffnet.
Deshalb ist die Erlaubnis wichtig, denn natürlich können wir es auch mit Gewalt und Kraft versuchen, das klappt auch, ist aber für das Singen nicht so gut geeignet.
Wenn also die Kieferöffnung aus bestimmten Gründen nicht erlaubt werden kann, werden wir als Lehrer:innen und Sänger:innen immer wieder damit kämpfen.
Und die fehlende Erlaubnis kann sehr unterschiedliche Gründe haben.
Schwierige Kieferöffnung
Grund 1: Sprachgewohnheit
Der einfachste Grund ist die Sprachgewohnheit. Wenn wir sprechen, öffnen wir unseren Kiefer meist nicht mehr als einen Finger breit. Manche Menschen sprechen sogar, ohne dass sie die Zähne auseinander bewegen müssen. Achte mal darauf, wenn du andere Menschen beim Sprechen beobachtest.
Grund 2: Emotionaler Stress
Auch emotionaler Stress kann eine große Rolle spielen. Wenn wir nachts mit den Zähnen knirschen und tagsüber die Zähne zusammenbeißen, damit wir durch unser Leben kommen, sind fast immer Emotionen mit im Spiel. Da kann es sehr schwierig werden, eine Erlaubnis für Öffnung zu bekommen, denn da könnten Gefühle hochkommen, die wir jetzt und hier definitiv nicht haben möchten. Wenn dann noch eine tiefe Atmung für das Singen dazu kommt, könnte es sein, dass wir die Kontrolle verlieren und uns die Gefühle weg schwemmen.
Das kennst du vielleicht? Beim Singen kann man auf einmal sehr emotional werden, weil sich etwas öffnet, was wir fein säuberlich in unserem Alltag unter dem Deckel halten.
Grund 3: Schutz muss gewahrt werden
Die Kieferschließung ist unser erstes Bollwerk gegen eindringende Teilchen in unseren Atemweg und damit in die Lunge. Unser Gehirn braucht immer die Information, dass es safe ist, die Räume zu öffnen. Es wird also ständig mit allen möglichen Gehirnzentren “Rücksprache” gehalten, ob Öffnung erlaubt ist und wenn ja wie viel.
Wenn nun Menschen aufgrund von Entwicklungstraumata (man könnte dazu auch sehr schlechte Erfahrungen in der Kindheit sagen) wenig Vertrauen haben, sich viel schützen mussten, sind etliche Systeme, die sich sonst durch Übung leichter öffnen lassen, nicht so leicht zu öffnen. Das betrifft zuerst den Kiefer, geht dann weiter über die Zunge und den gesamten Vokaltrakt.
Der Kiefer ist Teil dessen, was Stephen W. Porges das Social Engagement System genannt hat. Mag ich mich verbinden mit anderen? Traue ich ihnen? Zeige ich mich? Mag ich in Kontakt sein? All das sind Fragen, die wir uns stellen, sobald wir in Kontakt kommen und soziale Bindungen und Verbindungen eingehen.
Grund 4: Vorbilder
Wir alle ahmen nach, gerade zu Beginn unseres Lebens. Haben wir also sprachliche Vorbilder gehabt, vorzugsweise Mutter und Vater, aber später auch die Bezugsgruppe in der Pubertät und darüber hinaus, dann schauen wir uns Dinge ab. Das ist nicht nur ein Dialekt, sondern kann sich eben auch auf Schließungsgewohnheiten im Bereich Kiefer, Zunge und Vokaltrakt beziehen.
Und was jetzt machen?
All diese Trigger kennen wir aus der Körperpsychotherapie zur Genüge. Es ist also nicht so günstig, deinen Kiefer immer und immer wieder zu massieren, möglichst kräftig, denn der weiß ganz gut, warum er sich schützt und wird deine Bemühungen mit Leichtigkeit boykottieren. Er hat eine so wichtige Schutzfunktion in unserem Nervensystem, dass das immer oberste Priorität vor unserem schönen Gesang hat.
Da ist eine sanfte Überzeugungsarbeit mit viel Zeit definitiv zielführender.
Sensorische Äste des Trigeminus
Und hier hilft uns auch wieder der Trigeminus weiter, juchu. Denn neben seiner vielen motorischen Arbeit tut er auch sensorische Arbeit aus seinem 3. Ast, dem V3. Sensorische Arbeit heißt in diesem Fall, dass die Haut zwischen Kinn und Schläfen spürbar ist, weil dort Nervenfasern aus dem Trigeminus laufen. Um also eine Erlaubnis für die Kieferöffnung beim Singen zu bekommen kann es viel wirkungsvoller sein, diese Hautstellen streichend und spürend zu berühren als wild auf dem Muskel herumzumassieren. Und da wir schon oben beim N. massetericus auf eine Verbindung zum Kiefergelenk hingewiesen haben, können wir auch diese Verbindung nutzen.
Übung zur Kieferöffnung
Du kannst selbst ausprobieren, wie weit dein Kiefer wirklich locker und von ganz allein fällt, wenn du ihn loslässt Selbst bei mir, die ich schon seit Jahren das Singen trainiere, fällt er oft auch nur bis zu einer Fingerbreite Öffnung zwischen den Zähnen.
Probiere also gern aus, was passiert, wenn du nur deine Finger auf das Gelenk legst, hineinspürst und dann fallen lässt. Ändert sich etwas? Wie kann dann deine Kieferöffnung beim Singen sein?
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4 Kommentare zu „N. Trigeminus und die Kieferöffnung“
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