Seit gestern, 3. Januar bin ich allein auf Lanzarote. Ich habe mir diese Auszeit gegönnt, um schreiben zu können. Denn mein Buch, an dem ich seit Beginn der Pandemie schreibe, möchte ein großes Stück voran kommen. Das Thema ist die Stimme und das Nervensystem und viele Ideen sind in meinem Kopf seitdem entstanden, viele Texte sind geschrieben worden.
Ich habe viel Wissenschaftliches zusammengesucht aus den Bereichen Anatomie, Physiologie, Neurologie, Körperpsychotherapie und nicht zuletzt ganz eigene, eher lyrische, mal humoristische Texte zu einzelnen Gebieten geschrieben: Die goldenen Tore.
Was von all dem Platz in meinem ersten Buch finden wird, wird sich am Ende zeigen.
Woche 1 – Nervensystem allgemein
Tag 01 – Inhaltsverzeichnis neu strukturieren
Der Tag begann um 6:30. Ich habe recht ayurvedisch angefangen mit einer Tasse warmen Wassers. Das möchte ich hier jeden Tag machen, zu Hause komme ich oft nicht dazu. Aber das Rauschen der Wellen, was mich hier gleich am Morgen begrüßt, gibt Ruhe und das Gefühl, dass ich alle Zeit der Welt habe. Dieses Meer hat schon gerauscht und getobt, als ich noch nicht einmal in Planung war und es wird auch nach mir noch rauschen, toben und fließen. Was also soll Hetze und was ist überhaupt die Zeit?
Das war jetzt schonmal etwas philosophisch.
Und nun wird es konkret.
Ich habe mein Inhaltsverzeichnis neu gestaltet, um mir noch einmal genauer klar zu werden, was alles in dieses Buch hinein soll.
Ausschnitte aus den Themen bisher sind:
- Atmung, Körper, Stimme (und das wird dann natürlich nochmal genauer auseinander genommen)
- allgemeiner Überblick über das Gehirn
- Schutzsysteme
- Artikulation
- Emotion
- Neurowissenschaftlich interessante Konzepte für die Arbeit mit der Stimme
- Unterrichten
- sensomotorisches Wahrnehmungtraining
- Was ist Regulation?
Was ich mir außerdem vorgenommen habe für die 3 Wochen in Lanzarote:
- Jeden Tag weiter spanisch lernen
- Transkriptionen vom Treffen mit Prof. Neuhuber machen, einem wunderbaren Anatom und Neurologen aus Erlangen mit dem wir uns mit den Kolleg:innen vom Rabine-Institut im Oktober 2024 getroffen hatten.
- In dem Buch: Homo haptics lesen
- Hörbuch von James Nestor, Breath anhören
- mich von dem Künstler César Manrique inspirieren lassen. Er hat diese Insel maßgeblich mutgeprägt
Tag 02 – Zusammenhang Körper, Atmung, Stimme
Keine so gute Nacht gehabt. 🌞 Die Sonne war heute schon komplett da als ich endlich aufstand.
Die krassen klimatischen Veränderungen der letzten 2 Monate machten sich mit einem fiesen Schnupfen bemerkbar.
🌞 Buenos Aires – 25-30°
🌧️ München – 10°
🌦️ Hannover – sehr gemischte Temperaturen im Dezember
☃️ Füssen – 3° und Schnee
🌞 Lanzarote – 20°
Gestern habe ich mich erst einmal etwas eingewöhnt. Aber seit heute morgen bin ich fleißig am Schreiben.
Es geht heute um den Zusammenhang von Körper, Atmung und Stimme. Ganz grundlegend und leicht verständlich und danach geht es in die Komplexität.
Und ich stelle fest, wie wichtig und nützlich es ist, alles erst einmal leicht verständlich zu machen. Über Komplexität habe ich mir über 30 Jahre lang Gedanken gemacht. Aber zurück zur Einfachheit kommen – puh, nicht so leicht.
Alles beginnt mit der Atmung, auch wenn wir in der Rabine-Methode immer wieder sagen, die Hierarchie sei Körper-Atmung-Atemweg-Vokaltrakt-Stimmlippen.
Und gerade die Atmung ist ungeheuer komplex in ihrer neurologischen Innervation. Wir können sie bewusst beeinflussen und dann auch (leider) wieder nicht. Sie ist ein biologischer, (über)lebensnotwendiger Vorgang, der auch sich auch stark in unserer Emotion widerspiegeln kann.
Und dann brauchen wir aber im Singen eine verlässliche sängerische Atmung.
Wie erreichen wir das, wenn es doch so viele Faktoren gibt, so viele Zutaten in der Suppe?
Ich bin gespannt auf die Tage, wo ich noch tiefer in die Atmung einsteigen werde, denn sie fasziniert und frustriert mich schon seit so vielen Jahren. Als Sängerin, als Asthmatikerin, als Mensch mit großem Interesse an Selbstentwicklung.
Im Sport ist sie anders als im Yoga. Im Joggen anders als im Gehen. Was nützt uns fürs Singen? Was ist eher kontraproduktiv?
Am Nachmittag ging es dann weiter mit dem Gehirn und dem Nervensystem. Das ist ja irgendwie das gleiche. Auch hier habe ich mich in die Komplexität vertieft. Wie kann ich das überhaupt erst einmal selbst verstehen und dann auch noch auf das Wesentliche herunterbrechen.
Aber ich möchte so gern, dass es den Menschen, die mein Buch lesen werden anders geht als mir. Ich wünsche mir, dass sie die Grundlagen verstehen, denn wir brauchen als Gesangspädagog:innen nicht die ganze Kompliziertheit, sondern das, was uns weiterhilft.
Das Thema war heute Aufbau des Nervensystems. Dabei ging es zuerst um die Unterscheidung zwischen zentralem und peripherem Nervensystem. Und ich habe ein schönes Bild gefunden für meinen Text:
Das zentrale Nervensystem (ZNS) ist wie ein Zusammenspiel von Komponist und Orchester. Der Komponist erschafft die Melodie und die Harmonie – er legt die Grundstruktur fest, die bestimmt, wie wir denken, fühlen und handeln.
Doch ohne den Dirigenten, der dieses Werk zum Leben erweckt, würde das Stück nie erklingen. Ist eine Melodie wichtig genug für ein Solo oder bleibt sie im Hintergrund? Sollte dieser Ton in einer Harmonie mehr hervortreten? Das ZNS übernimmt die Rolle des Dirigenten und Komponisten. Es schafft und verarbeitet Melodien und Harmonien und gibt den Einsatz an die “Instrumente” weiter. Es schreibt die Partitur unseres Lebens.
Jeder Impuls, jede Entscheidung, jede Bewegung und Emotion entsteht in diesem komplexen Wechselspiel. Und nur, wenn Komposition und Aufführung in perfekter Balance sind, können wir unser persönliches Meisterwerk gestalten, unsere eigene Persönlichkeit entwickeln.
Das zentrale Nervensystem sucht immer nach Relevanz und steuert und koordiniert unsere psychischen und geistigen Fähigkeiten wie Lernvermögen, Gedächtnis und Emotionen. Und durch die starke Kommunikation des gesamten Orchesters können Änderungen mithilfe des Dirigenten extrem schnell gehen.
Tag 03 – Artikel für die Vox Humana
Eine wunderbare Nacht, ohne jede Störung liegt hinter mir. So konnte ich heute schon vor Sonnenaufgang (7:49h) aufstehen und mich gleich an die Arbeit machen.
Heute bin ich etwas vom Plan abgewichen, denn ich bekam kurz vor Jahresende Post vom BDG, genauer der Vox Humana. Mein Artikel, den ich letztes Jahr geschrieben hatte, soll nun doch veröffentlicht werden.
Er beschreibt meine Arbeit anhand von praktischen Beispielen und zeigt dabei die Wichtigkeit der Arbeit mit dem Nervensystem auf den verschiedenen Ebenen auf.
Als ich ihn heute morgen las, war ich ehrlich gesagt sehr berührt, was alles mit der Stimmarbeit zu erreichen ist, auf so vielen Ebenen.
Also sei gespannt, der 1. Teil soll in der nächsten Ausgabe stehen.
😅 Ich glaube es ja erst, wenn ich es vor mir habe 😂
Neben dem allgemeinen Kapitel über den Zusammenhang von Körper, Atmung und Stimme, habe ich gestern noch sehr viel am allgemeinen Teil über das Gehirn bzw. Nervensystem geschrieben.
All die Fakten zusammenzutragen, auf Wichtigkeit zu prüfen und überhaupt erstmal zu verstehen ist gar nicht so leicht. Ich dachte, ich hätte schon viel mehr Vorarbeit gemacht. 🙏
Themen waren:
🤓 ZNS allgemein (zentrales Nervensystem)
🤓 Hirnstamm mit Medulla oblongata, Pons und Mittelhirn
🤓 Thalamus und Hypothalamus
🤓 Kleinhirn
Eine Art Systematik zu finden, eine Gliederung zu machen, dass man einigermaßen durchsteigt und nicht wie ich oft völlig konfus vor all dem Material steht, ist echt nicht einfach.
Wissenschaftlich soll es sein, aber schließlich sind nicht alle Pädagog:innen Wissenschaftler:innen, schließlich haben wir noch eine Menge anderer wunderbarer Dinge, um die wir uns kümmern möchten.
Also einfach, aber nicht zu simpel. Puh, hard work
Aber was soll’s, hier habe ich Zeit und Raum, immer wieder abzuwechseln zwischen Fachliteratur, Schreiben, Meeresrauschen, Sonnen, Tanzen und Kaffee trinken.
Und am Nachmittag ging es weiter. Das Bild des Orchesters gefällt mir gut, überhaupt musikalische Bilder einzusetzen, um das Nervensystem zu beschreiben.
Zuerst schreibe ich mir alle Fakten über die einzelnen Teile des Gehirns auf. Und dann ändere ich sie in eine Bild. Beim Hypothalamus sah das z.B. so aus:
„Der Hypothalamus ist das übergeordnete Zentrum des vegetativen Nervensystems und als solches an der Regulation wichtiger vegetativer Parameter wie z.B. Körpertemperatur, Blutdruck und Atmung beteiligt. Darüber hinaus kontrolliert er über Steuer- und Effektorhormone die Funktion endokriner und nichtendokriner Organe und koordiniert das Zusammenwirken von endokrinem und vegetativem System.
Er unterhält Verbindungen mit dem gesamten ZNS, so auch mit dem Cortex und dem limbischen System. Dadurch ist der Hypothalamus entscheidend an der Entstehung von Emotionen beteiligt und vermittelt als Schaltstelle zwischen Großhirn und Hirnstamm vegetative Reaktion auf psychische Vorgänge.“ (aus: Garzorz: Neuroanatomie Basics. Übrigens ein tolles Buch. Knapp und informativ, tolle Bilder und leicht verständlich)
Mein musikalisches Bild sieht dann so aus:
Der Hypothalamus ist wie der Stimmführer in einem Ensemble, der die Balance zwischen den verschiedenen Sektionen sicherstellt. Als übergeordnetes Zentrum des vegetativen Nervensystems hat er die Aufgabe, grundlegende Parameter wie Körpertemperatur, Blutdruck und Atmung fein abzustimmen – ähnlich wie ein Musiker, der ständig nachjustiert, damit der Ton perfekt bleibt.
Darüber hinaus steuert der Hypothalamus die Zusammenarbeit zwischen Systemen, die Hormone produzieren, und solchen, die andere Aufgaben übernehmen, wie Bewegung oder Verdauung. Diese Rolle ähnelt einem Dirigenten, der dafür sorgt, dass alle Sektionen im Einklang bleiben und ein harmonisches Ganzes entsteht.
Seine engen Verbindungen zum gesamten Nervensystem – vom Cortex bis zum limbischen System – machen den Hypothalamus außerdem zu einem Vermittler zwischen Kopf und Körper. Er übersetzt körperliche Reaktionen, etwa ein beschleunigtes Herzklopfen oder ein wohliges Wärmegefühl in psychische Vorgänge, wie Freude oder Stress. So sorgt der Hypothalamus dafür, dass die emotionale „Melodie“ unseres Lebens spürbar wird und wir sie sowohl physisch als auch psychisch erleben können.
Tag 04 – Wie funktioniert Motorik?
Um weitermachen, weiterschreiben zu können, musste ich mich heute erst einmal in die Lektüre vertiefen. Denn auch wenn ich das Wort schon so oft gehört habe, ich hatte keine Ahnung, was die Basalganglien tun, aber ich brauchte sie heute leider. Also hieß es, wie so oft bei: Stichwort Verzeichnis angucken und lesen und hoffen, dass es verständlich ist, auch wenn ich das Buch nicht von Anfang an gelesen habe.
Und dann hing ich auf einmal in der Motorik. Und noch einmal wurde mir so klar, wie Motorik und Sensorik zusammenhängen. Ohne sensorische Informationen aus dem Sehen und Hören und der Propriozeption wird es schwierig mit der Motorik.
Und dann kamen die vier Rückkopplungsschleifen dazu, die mit dem Thalamus und mit dem limbischen System zu tun haben und schon war mein Nerd geweckt und begeistert. So langsam nimmt das Ganze auch in meinem Hirn Gestalt an.
Im Moment versuche ich vor allem, das Gehirn zu verstehen und was es mit der Motorik und Sensorik auf sich hat. Denn das sind genau die Punkte, wo die Übungen, die ich mit meinen Sänger:innen mache immer wieder ansetzen.
Ich habe auch Anhaltspunkte gefunden über die Voraussagen, die der Körper immer wieder aus früheren Erfahrungen zusammenbaut. Heute sagt man dazu predictive processing. Auch darüber werde ich sicherlich noch schreiben, im Buch auf alle Fälle. Und es zeigt, warum die Langsamkeit und Achtsamkeit in der Arbeit so wichtig ist. Denn schon wenn wir an etwas denken, fängt der Körper an zu reagieren. Um also etwas zu ändern brauchen wir Zeit. Denn schon Eugen Rabine sagte immer: Wie der Sänger denkt so singt er auch. Das scheint sich neurowissenschaftlich langsam aber sicher zu bestätigen.
Am Nachmittag beim Besuch den Kaktusgartens, Jardin de cactus fielen mir immer wieder die Naturformen auf. Auch Kakteen haben eine Aufrichtung und Symmetrie. Und manchmal sieht Kunst wie eine Neuronennetz aus. Aber auch die Beschaffenheit von Lavasteinen hier auf Lanzarote ist faszinierend. Die Natur bringt unglaubliche Dinge und Muster hervor, nicht nur in unserem Nervensystem.
Tag 05 – Rezeptoren, wie fühlen wir?
Heute habe ich so viel gelesen und geschrieben und hatte fast die Idee, dass ich erstmal quasi ein Buch über das Nervensystem für Sänger:innen schreiben sollte, bevor ich zu all den Dingen komme, die mir so wichtig sind zu beschreiben.
Also kleine Schreibkrise im Sinn von: Für wen schreibe ich jetzt eigentlich und was sollte alles rein?
Vielleicht hätte ich doch lieber mit der Rabine-Methode und der Stimmfunktion beginnen sollen, denn die Kapitel, die sich mit der Stimmfunktion beschäftigen, die habe ich fast ohne Recherchen, ohne Lesen fast aus dem Kopf einfach runtergeschrieben. 😅
Aber jetzt hat mich einfach das große Interesse gecatcht und ich werde hier weitermachen. Und mich damit auseinandersetzen, dass der Anteil der Dinge, die ich nicht weiß verdammt hoch ist. 😂 Aber es ist mega spannend und es lässt mich auch nochmal ganz anders auf die Stimme schauen.
Heute waren die Grundlagen dran. Es ging um das periphere Nervensystem und die Spinalnerven. Das sind die, die die Befehle für Bewegung zu den Extremitäten weiterleiten.
Und wer wurde da besonders genannt? Die Nn. intercostales, die Zwischenrippenmuskeln.
Sie sind viel weiter verzweigt als ich dachte. Sie haben sowohl Verbindungen zu den Bauchmuskeln als auch in den Plexus lumbalis.
Das werde ich mir nochmal genauer anschauen, denn dann klärt sich vielleicht auch die Frage nach der neurologischen Innervation während der Einatemtenz.
Und dann die ganzen Arten von Rezeptoren: Exterozeptoren, Viszerozeptoren und vor allem die Propriozeptoren. Da wurde ich wieder sehr wach, denn Propriozeption für die Selbstwahrnehung ist innerhalb des sensor-motorischen Wahrnehmungstraining von großer Bedeutung.
Denn oft kommen Sänger:innen in meinen Unterricht und sagen mir, dass sie Dinge in ihrem Körper nicht wahrnehmen können. Und dann stellt sich mir die Frage, wie die Selbstwahrnehmung geübt und gelernt werden kann. Und da arbeiten die Rezeptoren dann Hand in Hand. Durch Exterozeption, wie es z.B. eine Selbst-Berührung ist, kann der Propriozeption geholfen werden. Auch der Sehsinn kann am Anfang helfen, wenn es um äußere Bewegungen geht. Hier ist also die Art, wie der Informationsfluss durch das Nervensystem geht von großer Bedeutung.
So ging der Tag in aller Ruhe mit einem wunderschönen Sonnenuntergangshimmel zu Ende.
Tag 06 – Schreibkrise begins
Gestern war ich ja schon in die Tiefe gegangen und so ereilte mich heute die Krise. Ich hatte das Gefühl, wenn ich so weitermache, dann schaffe ich es nie und wozu soll man das eigentlich auch alles wissen?
Ich hatte mich mal wieder so richtig gut verzettelt, war vom Hütchen zum Stöckchen gekommen und hing fest. Tanzen half nicht, Denken half nicht, Fluchen schon gar nicht.
Ich fing kurzerhand an, alles durchzulesen und zu korrigieren, was ich schon über die Sängerische Atmung geschrieben hatte. Das tat mir gut, denn ich hatte das Gefühl, dass ich wenigstens etwas meinem neu erstellten Text hinzufügen konnte und nicht nur vor mich hin brütete.
Aber so ganz stellte mich das auch nicht zufrieden. Kurzerhand rief ich meine Schreib-Freundin Birgit Ising an. Sie hatte schon ein Buch geschrieben. Völlig anderes Thema, aber sie kennt Schreibkrisen. Sie riet mir, Fachbegriffe, die ich erklären wollte, die aber den Text unnötig unterbrechen würden einfach in ein Glossar zu schreiben. Klar – Glossar – großartige Idee. Hatte ich auch schonmal gemacht, bloß wieder vergessen.
Mir auch immer wieder die Frage zu stellen: Für wen ist das Buch? Ist auch superwichtig.
Und auch an mich die Frage: Was muss ich alles wissen, damit ich den gesamten wichtigen Ablauf verstehe und ihn dann wieder runterbrechen kann. Nachdem wir am Morgen über eine Stunde telefoniert hatten, ging es mir besser und ich beschloss, jetzt an einem anderen „beautiful place“ zu schreiben.
Kurzerhand fuhr ich nach Haría, um das 2. Haus und vor allem das Atelier von César Manrique zu besuchen. Es war unglaublich inspirierend, so wie Natur eigentlich immer inspirierend für mich ist.
Im Garten schrieb ich dann noch ein wenig weiter, bevor ich am Abend noch einen weiteren aufmunternden Call mit meiner Kollegin Hildegard Baum hatte. Sie kennt sich auch fachlich sehr gut aus und wir kamen angeregt ins Gespräch.
Aus diesem Gespräch nahm ich den Hinweis mit, mich jedes mal zu fragen: Muss man das fürs Unterrichten oder fürs Singen wissen? Was genau hilft es einem. Denn sie hatte, genau wie ich, die Erfahrung gemacht, dass man sich schnell in den Details verliert. Alles ist interessant und ständig hat man das Gefühl, man müsse es noch besser wissen. Soll es eine Neurophysiologie für Sänger:innen werden? Ist es zum Unterrichten wichtig? Darf ich mich von dem Gedanken verabschieden, dass es umfassend werden muss.
Danach hatte ich dann glatt noch die Energie, mich weiter mit meinem Neurologiebuch zu beschäftigen.
Tag 07 – Neue Übungen für Hautsensibilität?
Unverdrossen las ich heute erstmal weiter. Denn ich hatte das Gefühl, wenn ich die Fragen beantworten wollte, was nützt mir das für das Unterrichten, musste ich tiefer einsteigen. Ich befreite mich von der Pflicht, jeden Tag etwas wertvolles zu Papier bringen zu müssen.
Ich saß auf meiner Sonnenliege, las in meinem Neurologiebuch, hörte zwischendurch fetzige Salsamusik, ließ mich auch mal treiben, erprobte mein Spanisch beim Einkaufen und probierte viel an meinem eigenen Körper aus.
Es ging heute den Aufbau, die Organisation von Spinalnerven. Ich hatte immer gedacht, dass die ganz einfach für Bewegung zuständig sind. Weit gefehlt. Hautsensibillität gehört auch zu ihrem Spezialgebiet. Also probierte ich heute viel aus, auf meiner Liege, wie es sich anfühlt, sich an unterschiedlichen Stellen zu berühren.
Weiter als bis zum Plexus cervicalis kam ich heute nicht. Aber es ist erstaunlich. Hier haben wir Nerven, die motorisch für den Hals zuständig sind. Es gibt Verbindungen für kurze Zeit zum N. Hypoglossus, der für die Zungenbewegung zuständig ist und auch zur Ansa cervicalis, die mit der unteren Zungenbeinmuskulatur verbunden ist. Gleichzeitig kommen aus diesem Plexus Nervenfasern, die für die vordere und seitliche Halshaut sensorisch verantwortlich sind.
Was also passiert, wenn ich dort berühre? Kann ich einen Effekt feststellen? Ich konnte. Die Atmung veränderte sich, der Raum im Atemweg veränderte sich, der Kehlkopf sank tiefer.
Dem werde ich weiter nachgehen.
Am Abend lief ich ein wenig an der Küste entlang, hörte Musik und war unglaublich glücklich, dass ich die Möglichkeit habe, an einem so schönen Ort zu sein.
Woche 2 – Im Zeichen der Polyvagaltheorie
Tag 08 – Polyvagaltheorie tiefer verstehen
Heute ging es richtig gut. Eine Woche ist rum und ich fühle mich angekommen im Schreiben.
Ich habe mich heute erst einmal in die Aufzeichnungen vom Treffen mit Prof. Winfried Neuhuber im Oktober 2024 vertieft. Dadurch wird Vieles klarer und ich bereite mich auf das Treffen mit Dr. Antonia Pfeiffer vor. Sie macht einen Zoom-Event über die Kritik an der Polyvagaltheorie. Sie hat selber dazu auch geforscht. Hier findest du einen Artikel dazu von ihr.
Was ist dran an der Kritik der Polyvagaltheorie?
Ich möchte am Dienstag die Möglichkeit haben, so viele weitere Fragen wie möglich zu besprechen und hoffentlich noch mehr Klarheiten bekommen.
Außerdem habe ich jetzt noch drei Tage, um drei Fachartikel von den entsprechenden Kritikern zu lesen und vor allem: zu verstehen!! 😅
Aber ich bin on fire und habe richtig Lust, mich noch weiter zu vertiefen. Ach übrigens, wenn jemand denkt, Wissenschaft ist immer so voll objektiv und so, kicher kann ich da nur sagen. 😂🤨🤔😅 Auch diesen Zahn zog uns Herr Neuhuber an dem Wochenende. Es sind schließlich überall Menschen. Also völlig normal, dass man sich zofft. Solange es bitte kollegial bleibt.
Es ist und bleibt spannend.
Ansonsten lockte mich der Markt von Haría heute. Ich nenne zwei neue Ringe mein eigen.
Dank an Siliza Joyas del Fuego, die phantastisch schönen Schmuck, emailliert und mit Lavateilchen in tollen Farben herstellen. Schaut mal bei ihnen vorbei, es lohnt sich. Alles handmade.
Und nach einem schönen Treffen mit Bekannten bin ich durch faszinierende Landschaften gefahren, Serpentinen durch das Tal der 1000 Palmen und hatte eine großartige Aussicht auf das diesige Meer. Wow, diese Insel ist echt so schön.
Tag 09 – Dorsaler und ventraler Vagus
Und weiter geht es mit dem Vagus Nerv und all den anderen komplexen Strukturen im Gehirn. Manchmal denke ich, jetzt habe ich es endlich verstanden und dann wieder halte ich mich für das größte Dummerchen den euro-wissenschaftlichen Universums. Das ist wohl normal, aber definitiv nicht angenehm.
Warum sollte ich das als Gesangspädagog:in oder auch als Sänger:in wissen?
Diese Frage stelle ich mir fast täglich, während ich hier sitze, recherchiere und schreibe.
Wer klingt schon besser auf der Bühne, wenn sie weiß, wie das Gehirn funktioniert, was das periphere oder zentrale Nervensystem ist und ob die Polyvagaltheorie nun stimmt oder ein Marketing Trick ist?
Ich bin mit Absicht mal ein bisschen polemisch. 😉
Die Pädagogik stützt sich immer mehr auf wissenschaftliche Forschungen. Um ernst genommen zu werden heute auf einem Kongress sollte man zig Studien vorweisen können. (Ich sage hier nichts über Qualität von Studien 🤓)
Und ich war schon vor über 30 Jahren neugierig, wie das mit der Stimme wirklich funktioniert, weil ich mir davon Antworten erhoffte für mein eigenes Singen.
Hat irgendwie geklappt und gleichzeitig habe ich gemerkt, dass mein Singen nicht deshalb besser wurde, weil ich endlich wusste, wie der Kehlkopf funktioniert und all seine Muskeln kannte. Was also mache ich hier?
Ich stelle immer wieder fest, wenn ich mit Menschen über Stimmfunktion diskutiere, dass dieses Wissen allein nichts nützt. Aber es ist ein bisschen wie Noten lernen. Ohne dass ich mein Stück kann, wird auch keine Musik draus. Klar, kann ich mein Leben lang improvisieren und es werden tolle Dinge dabei herauskommen. Aber am Ende, wenn es um Professionalität geht, sollte ich das Handwerkszeug kennen.
Und so ist es mit dem Wissen über Stimmfunktion und Nervensystem auch. Allein nützt es nichts, aber wenn ich Zusammenhänge herstellen kann zwischen Praxis und Theorie, dann kann es richtig cool werden. Und das braucht ZEIT
Nein, geduldig bin ich nicht. Aber was bleibt mir schon Anderes übrig.
Tag 10 – Phylogenese, Evolution
Weiter ging es für mich mit der Vorbereitung auf den Dienstag, wo es um die Kritik an der Kritik gehen sollte.
Die Evolution ist ein spannendes Gebiet. Neal Shubin sagte mal, es sei der Versuch aus einer verbeulten Cola Dose und einem Turnschuh unser heutiges Leben zu rekonstruieren. Ganz so kryptisch ist es wohl nicht, wenn ich manchmal lese, was man bei alten Knochen mittlerweile alles herauslesen kann, aber ja, es ist alles andere als eindeutig.
Von daher auch der eine Streitpunkt aus der Polyvagaltheorie Kritik. Die Kritiker sagen, Porges versteht die Beschaffenheit der Reptilien und Vögel nicht, sie alle seien schon längst „polyvagal“, hätten also einen ventralen und dorsalen Vagus und soziales Verhalten und Porges sagt, das kann man nicht vergleichen, denn er spricht nicht von heutigen Reptilien, sondern von einem Ur-Reptil, das ganz anders war. Hm, typische Patt-Situation würde ich sagen. Und wer beweist das Ur-Reptil? Gute Frage, nächste Frage.
Ich habe mich ja auch innerhalb der Rabine Methode viel mit der Evolution und fing jetzt an Edwin Taylor zu lesen, der ein Kritiker von Porges ist.
Schnell hatte mich die Lektüre gefesselt, denn hier fand ich auf einmal wieder den Lungenfisch, von einer ganz anderen Seite betrachtet. Das werde ich sicherlich nochmal anschauen, wenn ich bei der Evolution der Doppelventilfunktion angekommen bin.
Und auch heute tauchte wieder die Frage: 🤔 Was nutzt das meinen Sänger:innen und den Pädagog:innen, die mich nach bestimmten Dingen fragen?
Je besser wir wissen, warum etwas passiert, wenn z.B. bestimmte Übungen angewendet werden, desto besser kann man sich selber verstehen und die passenden Übungen und Ideen für sich und die eigenen Schüler:innen finden.
Dann brauchen wir keine Rezeptbücher, wo wir mal dies und mal das ausprobieren, sondern wir wissen, was zu tun ist.
Und zwar dann, wenn wir als Sänger:in gerade nicht weiterkommen, aber eben auch, wenn wir als Lehrer:in immer wieder andere Sänger:innen vor uns haben.
Wir fangen an,
❤️ uns selbst wahrzunehmen,
❤️ Dinge einordnen zu können,
❤️ die Zusammenhänge zwischen Körper, Stimme und Nervensystem zu verstehen,
❤️ Emotionen zuordnen zu können.
Das alles ist einfach sehr wichtig, wenn man professionell in dem einen wie dem anderen Feld unterwegs ist.
Und jetzt gehe ich wieder ans Schreiben. Ich freue mich riesig darauf, ab März mein Wissen wieder praktisch in meinem Online Kurs „Die nervenstarke Stimme“ weiterzugeben. Wenn dich das interessiert, schicke mir gern eine PN, lass uns sprechen.
Den Abend hatte ich mich spontan zu einer Vollmondwanderung entschieden. Sie startete am Jardin de cactus, ging über das Charco del Palo, wo ich wohne zum Ende des kleinen Städtchens Mala. Die Gischt war hoch und krachte in einem beeindruckenden Spektakel gegen die Lavafelsen. Ich wurde recht nass, obwohl wir recht weit entfernt waren.
Ein kleiner Imbiss von unserem großartigen Wanderleiter Stephan von LanzaTrekk, den er in einer kleinen Hütte, die Einheimischen gehört für uns parat hatte. Ziegenkäse von der Insel und ein Glas Sekt mit O-Saft. Wow, danke Stephan für dies unvergessliche Erlebnis.
Tag 11 – Kritik der Kritik an der Polyvagaltheorie
Im Hinblick auf heute Abend habe ich mir nochmal die Aufnahmen weiter angehört und mir weitere Gedanken dazu gemacht.
Spannend war der Teil über das periaquäduktale Grau, eine Gehirnstruktur, die etwas mit dem Hedonismus zu tun hat. Sie ist auch wichtig, wenn es um Sucht geht. Denn sie registriert, ob uns etwas gut tut oder gut gefällt und dann versucht sie uns dahin zu bringen, es zu wiederholen. Eine spannendes Gehirnareal, denn es könnte auch für uns beim Singen wichtig sein. Wenn sich Singen auf eine bestimmte Art und Weise gut anfühlt, könnte es da nicht sein, dass dieser Teil uns dazu bringt, genauso weiter singen zu wollen? Dafür lohnt es sich vielleicht auch, Dinge in unserem Gesang zu ändern?
Und schon war ich wieder in der Neuroanatomie unterwegs. Die unterschiedlichen motorischen und sensorischen Wege der Nn. intercostales hatten es mir heute nochmal angetan. Ich war bei dem Teil, der die Haut der Bauchwand sensibel innerviert stutzig geworden. Und ich verband meine Gedanken mit Erfahrungen, die ich schon gemacht hatte innerhalb der Rabine-Methode. Hier ein kleiner Ausschnitt aus dem, was ich heute geschrieben habe:
„Wir haben in der Rabine-Methode eine Übung, die Einfluss auf die Einatmung über die Bauchmuskeln nimmt, indem die Hand oder zwei Hände schräg über die Bauchwand bis nach oben auf Höhe der Achselhöhe streichen.
Das ist genau der Bereich, der von den Rr. cutanei abgedeckt wird. Hier können wir als Sänger:innen sehr deutlich die Veränderung der Einatmung spüren, wenn wir zeitgleich zum Streichen über die Bauchwand und den Thorax streichen. In diesem Fall gehen wir über den Berührungsaspekt, der ebenfalls im Gesangsunterricht eingesetzt werden kann, um Innervierungen bestimmter Muskeln zu unterstützen.“
Ansonsten blieb ich heute zu Hause, schrieb in der Sonne auf meiner Terrasse, während die Wellen immer noch stark rauschten und tanzte zu Enrique Iglesias, wenn ich mal Pause und Bewegung brauchte.
Tag 12 – Ruhe und Danke Sandra
Heute morgen war ich die Ruhe selber. Gestern Abend war der Call mit Dr. Antonia Pfeiffer gewesen. Nein, sie hatte mich nicht vollständig überzeugt, aber genau das machte mich ruhig. Ich hatte endgültig damit abgeschlossen, die Wahrheit finden zu müssen und in meinem Buch schreiben zu müssen. Am Ende ist immer wieder die Frage: welche Quellen habe ich gefunden, welchen Aussagen vertraue ich und was ist meine Erfahrung? What is my gut telling me?
Und dann kam noch das Coaching bei Sandra dazu. Ich sprach darüber, dass ich mich jetzt mehr fragen wollte, was die Menschen, die mein Buch lesen mitnehmen sollen und dass ich nicht zu kompliziert sein möchte. Und Sandra insistierte. Da war ich erst einmal erstaunt. Sie meinte, ich solle mein Wissen in diesem Buch teilen, es dürfe ruhig auch mal ein wenig mehr sein, als die Menschen verstehen. Denn es würde meine Expertise zeigen. Es sollte etwas sein, wo die Leser:innen merken, was an Wissen hinter all dem steckt, wie ich arbeite. Das würde das Interesse, mit mir praktisch zu arbeiten, egal wie das möglich wäre, deutlich erhöhen und außerdem gäbe es genug Menschen, die sich in mein Buch vertiefen wollen würden.
Stimmt, das würde ich an meiner Stelle auch machen.
Und schon ging es mit großem Elan weiter in die Welt der komplexen Neuroanatomie.
Und am Nachmittag war wieder César Manrique dran. Diesmal sein unglaubliches Lavasteinhaus in Tahiche. Dort ist auch die Stiftung untergebracht. Ein Bild ganz zu Beginn fasziniert mich jedes Mal aufs Neue. Es ist so lebendig und immer bin ich fast erschrocken von dem direkten Blick.
Und dann bin ich fasziniert von den vielen Bildern und kleinen Filmen aus seinem Leben. Diese Lebensfreude, diese vielen Freunde, die politische Einstellung, sein Denken über die Natur und den Menschen und die Sinnlichkeit, die auf so vielen Bildern zu spüren ist. Und last but not least, ich liebe diesen 70er style. Die Farben, das bringt Erinnerungen hoch.
Aber richtig berühren tun mich die Bilder im Untergeschoss. Diese Farben und Formen. Dort bin ich immer wieder von Bild zu Bild gegangen und jedes Mal konnte ich etwas Anderes sehen und fühlen.
Mit einem ganz großen Verbundenheitsgefühl machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause.
Tag 13 – Hirnnerven
Gestern hatte ich viel geschrieben, mir fehlte heute ein wenig die Inspiration. Aber untätig wollte ich trotzdem auf keinen Fall sein.
Aber ich hatte auch einiges an online Terminen. Und dabei habe ich gemerkt, dass ich mich dann nicht so hinein vertiefen kann als wenn ich weiß, dass der gesamte Tag für mich frei ist. Interessant, das werde ich mir für zu Hause merken.
Also machte ich mich an die Fleißarbeit. Ich übertrug alles, was ich über die Hirnnerven geschrieben hatte in mein aktuelle Skript, ich bügelte ein paar Fehler aus und stellte dabei fest, wie viel mehr ich heute weiß als noch vor zwei Jahren. Wow, innerhalb des Tuns wird es einem häufig gar nicht so bewusst.
Wie wäre es, wenn du das auch mal probierst? Spätestens jedes Mal, wenn du das Gefühl hast, es geht nicht weiter, du schaffst nichts, schaue ein Jahr zurück, schaue hinter dich. Was hast du bis hierher alles geschafft und erlebt? Das fühlt sich oft total gut an.
Deshalb schreibe ich auch so gern Rückblicke. Kennst du meinen Jahresrückblick 2024 schon? Der hat mich umgehauen, als ich ihn dann vor mir sah.
Ich habe schon immer eine Faszination mit den Hirnnerven gehabt. Sie waren das erste, was mich im Nervensystem beschäftigt hat. Denn sie sind für uns Sänger:innen superspannend. Hier ein kleiner Überblick, wer sie sind und was sie so tun.
🌹 Da ist der Facialis. Er ist für die Motorik unserer Mimik zuständig. Die ist sowohl für den Klang mit zuständig, denn sie gestaltet einen Teil des Vokaltraktes mit als natürlich auch für unseren Ausdruck von Emotion
🌹 Dann der Trigeminus. Viele Aufgaben gehören dazu, aber vor allem innerviert er die Kieferschließmuskulatur. An ihm müssen wir vorbei, wenn wir den Kiefer auf günstige Art zum Singen öffnen möchten
🌹 Der Glossopharyngeus. Super wichtig bei der Vokaltraktgestaltung, denn er innerviert unseren Pharynx. Jeder Klang, den wir erzeugen und verändern hat mit ihm zu tun
🌹 Der Hypoglossus, der entscheidend ist, wenn es um unsere Zungenbeweglichkeit geht. Sie ist der andere Part unseres Vokaltraktes und ihre Bewegung bringt uns Sänger:innen manchmal zur Verzweiflung
🌹 Und last but not least, der Vagus. Motorisch für den Kehlkopf und ansonsten viele, viele weitere Funktionen, die innerhalb des autonomen Nervensystems extrem viel mit unserer Interozeption und Exterozeption zu tun hat.
Klingt vielleicht kompliziert, ist es auch und gleichzeitig hat er viel mit Regulation, Sicherheit und aktiver Ruhe zu tun.
I love him 💛
Ich habe übrigens vor langer, langer Zeit mal ein kleines Schauspiel über sie geschrieben. Wer weiß, vielleicht wird ja auch das in meinem Buch erscheinen, einfach als Auflockerung.
Und zwischen meinen Schreibeinheiten tanze ich immer wieder. Das ist seit einigen Jahren ein wichtiger Bestandteil meines Lebens geworden. Besonders der Paartanz. Aber auch gerade wenn ich allein für mich tanze, lässt es mich lebendig werden, gibt meiner Kreativität und meiner Lebendigkeit wieder Ausdruck.
Auch darüber habe ich geschrieben, auf meiner Weib-und-Schreib-Seite, wo auch Gedichte von mir sind. Magst du es lesen? Dann klicke HIER.
Also alles in allem kein langweiliger Tag, der außerdem noch wunderbare Spaziergänge an der Küste Lanzarotes beinhaltete. Gerade im Charco del palo, wo ich wohne ist die Küste total ursprünglich, keinerlei Hotels. Der schönste Abschnitt, wenn du mich fragst.
Tag 14 – Arme, Finger und Atmung
Der heutige Tag stand ganz im Zeichen des Plexus brachialis, unser Armnervengeflecht. Ein paar Seiten in meinem Neurologiebuch und viele, viele Hirnwindungen in meinem Kopf.
Es gibt so viele Nerven, kleinere und größere Äste und Ästchen, faszinierend und einschüchternd zugleich. Und nur schon während ich das Ganze versuchte zu verstehen wurde mir klar, was wir hier für Verknüpfungen haben, die ich aus der Rabine-Methode zur Genüge durch Übungen kenne. Die Armbewegungen beeinflussen nicht nur durch ihre biomechanische Wirkung unsere Atmung, weil sie den Brustkorb sich anders bewegen lassen, nein, auch ihre neurologischen Verknüpfungen sind wirklich eng.
Und dann die Finger. Ich hörte am Ende auf, jeden Nerv, der bestimmte Finger innervierte aufzuschreiben, denn es waren unendlich viele. Aber es machte mir einmal mehr klar, warum wir diese Wirkungen spüren, wenn wir die Finger bewegen. Es gibt ganz allgemeine Wirkungen, wenn wir alle bewegen, aber auch sehr unterschiedlich, je nachdem, welchen Finger wir mit welcher Bewegung nutzen. Allein das könnte eine empirische Studie vertragen, wo man Bewegung, also Biomechanik mit der Neuroanatomie und Neurophysiologie verknüpft und genau hinhört, was sich in der Stimme ändert und unsere Sänger:innen befragt, was sie erleben.
Denn dafür sind wir in der Rabine-Methode ja bestens trainiert: funktionales Hören, Sehen und Mitempfinden und das Sensomotorische Wahrnehmungstraining gehen da eine sehr hilfreiche Allianz ein.
Ich arbeitet fast den ganzen Tag.
Aber zum Ende hin trieb es mich nochmal an eine der Stellen, die César Manrique so großartig gestaltet hatte: das Jameos del agua.
Ich ließ mich gleich am Eingang der Höhle nieder und schrieb einen Newsletter an meine Sänger:innen, was ich schon viel zu lange vernachlässigt hatte. Frei nach dem Motto #writinginbeautifulplaces. 😅
Nachdem ich damit fertig war, ließ ich mich weiter von der Höhlenarchitektur beeindrucken und berühren. Manchmal stand ich einfach nur da und hatte ein dickes Lächeln auf dem Gesicht. Und diesmal schaute ich ganz anders hin. Die Architektur war mir mittlerweile schon vertraut. Aber die Beschaffenheit der Steine ließ mich immer wieder staunen. Ich fand eine Ausstellung in einer Art Wandelhalle, wo besonders beeindruckende Formationen als große Photos hingen. Ich konnte mich gar nicht sattsehen.
So etwas Faszinierendes verschlug mir echt die Sprache.
Und natürlich musste ich mich auch wieder einen Moment in die Konzerthalle setzen. Leider hatte ich noch nie das Vergnügen zur richtigen Zeit hier zu sein, um ein Sinfoniekonzert zu hören. Heute Abend wäre etwas gewesen, aber es war ausverkauft, natürlich.
Das nächste Mal schaffe ich es, ich werde mich weit im Vorfeld darum kümmern, denn spätestens nächstes Jahr im Januar bin ich auf alle Fälle wieder hier. Die Unterkunft ist schon gebucht.
Tag 15 – Becken, Bein, Atmung und tiefe Bauchgefühle
Der Morgen begrüßte mich wie immer mit einem spekakulären Ausblick auf den Atlantik. Jeden Morgen bin ich erneut tief beeindruckt, wie schön es hier ist und neugierig, welchen Ausblick mit Lanzarote bietet.
Auch heute steckte ich wieder tief in der Neuroanatomie. Es ging um den Plexus lumbalis. Hier wurde neuro-anatomisch nochmal sehr klar, wie eng die Verbindungen vom Becken bis in die Zehen sind.
Denn manchmal werden wir gefragt, was die Zehen denn mit dem Singen zu tun hätten. Wenn man sowohl in die Anatomie als auch in die neurologischen Verbindungen schaut, kann man das sehr schnell sehen. Denn die Nerven verzweigen sich viel stärker als wir das von der Muskulatur gewöhnt sind. Auch hier wäre eine extra Studie zu den Zehen extrem wünschenswert, genau wie schon für die Finger, denn die Einflüsse, die wir muskulär und neuro-physiologisch ins Becken haben sind enorm.
Und durch den M. Iliopsoas und die entsprechenden nervalen Verbindungen haben wir sofort eine Verbindung in die Tiefatmung und zwar im hinteren Teil, der pars lumbalis des Zwerchfells. Nix Bauchatumung, wenn wir von Tiefatmung sprechen. So wie es eine Kollegin in einem sehr schönen Post bei Instagram auch schon gut erklärt hat.
Hier wären auch noch die Druckverhältnisse und vor allem die Adhäsionskräfte im Bauchraum mit den vielen spannenden viszeralen Faszien zu betrachten. Wenn man die wiederum genauer auseinander nimmt, dann könnte man noch ein gesamtes Buch über die Atmung schreiben, denn sie hat so viele Komponenten, das ist einfach total faszinierend. Und wenn man dann noch weiß, dass die meisten Rezeptoren anscheinend im faszialen Gewebe sitzen, ist schon das nächste Buch eigentlich im Orbit. Aber jetzt erstmal langsam und das erste Buch fertig bekommen.
Und zu all dem kommen noch die Verbindungen in die gesamten Geschlechtsorgane. Das hat mich nochmal persönlich sehr angesprochen, weil ich früher oft die Empfindung hatte, dass es einen Durchgang vom Vokaltrakt bis tief nach unten zu all meinen sinnlich-erotischen Gefühlen gab. Als junge Sängerin war aich darüber extrem verwirrt und habe teilweise meine Atmung mehr oder weniger angehalten, weil ich nicht wollte, dass das jemand sieht oder hört. Und das hat meiner Stimme definitiv nicht gut getan.
Ja, das scheint recht persönlich, aber ich gehe mal davon aus, wenn es mir so gegangen ist, werde ich nicht die einzige sein.
Ja, Singen tut gut, anscheinend auf sehr vielen verschiedenen emotionalen Ebenen. Mag sich noch jemand outen? 😊
Woche 3 – Trauma und Nervensystem
Tag 16 – Schutzsysteme im Vokaltrakt
Die Küste bot heute morgen wieder einmal ein unglaubliches Schauspiel.
Jeden Morgen überraschen mich der Atlantik und der Himmel, mit der Sonne und den Wolken aufs Neue. Ja, hier würde ich sehr gern in einem Film wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ aufwachen. Ich kann mich auch nach über 2 Wochen morgens nicht sattsehen.
Doch jetzt zurück an die Arbeit 😉
Ich habe heute für mich ein neues, altes Kapitel aufgeschlagen.
Es ging zurück zum Traumabegriff und zu den Schutzsystemen. Ich gehöre zu denen, die zwischen Schocktrauma und Entwicklungstrauma trennen. Schocktraumata treten auf nach besonders heftigen Ereignissen wie Gewalt, Krieg, Vergewaltigung, aber auch bei Unfällen und Operationen.
Und dann gibt es noch die Entwicklungstraumata, die uns durch langanhaltendes Verhalten, meist unserer Bezugspersonen im frühen Kindesalter zugefügt werden. Das muss uns nicht einmal besonders gravierend vorkommen, aber die ständige Konditionierung ein gutes Mädchen zu sein oder ein Junge, der keinen Schmerz kennt, kann unsere Persönlichkeit für lange Zeit beeinträchtigen. Es ist ein Verhalten, was wir auch weiterhin im Leben anwenden, obwohl keinerlei Notwendigkeit dafür besteht.
Es war ein notwendiger Schutz, wir werden es nie wegtherapieren können, aber wir können den Umgang damit lernen und dadurch unser Verhalten von innen heraus verändern. Mit der Arbeit mit dem Nervensystem und übrigens auch der Stimme.
Und darüber habe ich heute mehr geschrieben, denn genau das begegnet mir bei meinen Sänger:innen. Oft wissen sie selbst nicht – genau wie ich damals – dass diese Verhaltensweise ihr Stimmpotential behindern.
Sie denken, sie haben Probleme
🤔 mit der Höhe,
🤔 mit der Lautstärke,
🤔 mit dem Vokal A,
🤔 mit der Bruststimme
🤔 mit der Kopfstimme
🤔 mit den Nerven auf der Bühne und so weiter.
Aber das ist das Zeichen, in dem es sich ausdrückt. Und wenn wir hier mit einer Gesangstechnik dran gehen, die die Physiologie der Stimme als auch das Nervensystem berücksichtigt, wird es spannend und heilend.
Und hier ein kleiner Ausschnitt von dem, was ich heute geschrieben habe:
“Die Biologie zu kennen bedeutet, dass wir mit unserer Biologie singen können und nicht gegen sie.”
„Dies Motto finde ich einen wichtigen Satz, nicht nur für das Singen, aber hier ganz besonders. Denn der Versuch, gegen sie zu arbeiten wird immer in Schutzmechanismen und Hilfsspannungen enden und das ist das letzte, was wir als professionelle Sänger:innen gebrauchen können.
Unsere körperlichen Schutzsysteme sind für unser Überleben gedacht. Es gibt viele Schutzmechanismen, aber gerade die für unsere Lungen sind sehr wesentlich und extrem wichtig, denn wir können längere Zeit ohne Nahrung leben, doch ohne Luft ist es sehr schnell mit uns vorbei. Unser Atem-Stoffwechsel liefert die wichtigsten Bestandteile für das körperliche Überleben.
Und ausgerechnet mit all diesen Schutzmechanismen haben wir es Tag für Tag zu tun, wenn wir singen.“
Und es war faszinierend, wie leicht mir das Schreiben an diesem Tag fiel. Das sind die Themen, die mich immer wieder tief berühren, die mir am Herzen liegen und mit denen ich mehr und tiefer arbeiten und in Kontakt kommen möchte.
Tag 17 – Die Angst- und Verteidigungskaskade
Heute ging es los mit den neuen Kapiteln über die Angst- und Verteidigungskaskade.
Schon lange suche ich nach anderen Möglichkeiten, die Reaktion auf Trauma zu erklären, als es die Polyvagaltheorie vorschlägt.
Und nun habe ich einen Aufsatz gefunden, der mich sehr überzeugt. Natürlich geht es wie immer nicht um die Stimme, aber immerhin taucht der Vagus auf, allerdings nicht als Hauptakteur.
Dafür viele andere interessante Hirnstrukturen, mit denen ich mich vorher noch nicht so viel auseinandergesetzt hatte, wie z.B. der Hypothalamus und das periaquäduktale Grau, eine spannende Struktur, die Verbindungen ins Limbische System hat und Angst- und Fluchtreflexe steuert. Auch mit Schmerzwahrnehmung ist sie verbunden, also alles, was man so vermutet, wenn es um traumatische Ereignisse geht. Dann natürlich die üblichen Verdächtigen wie dorsaler Vagus und die Amygdala.
Und wenn ich die Fallbeispiele in der Metastudie lese, kommen mir immer wieder Parallelen zu eigenen Erlebnissen oder dem, was ich bei meinen Sänger:innen an Verhaltensweisen spüren kann, besonders wenn es um die Bühne geht.
Manches von dem lässt sich schon allein verändern, wenn wir uns die Gesangstechnik genauer anschauen, denn auch das wird beschrieben, dass es eine Reaktion in den motorischen Teilen des Vagus gibt und sich die Stimme verändert. Yeah. Leider habe ich die anderen Hirnnerven in dem Aufsatz noch nicht entdecken können, aber vielleicht verstecken sie sich hinter einem allgemeinen Terminus.
Und wenn ich sie selbst nicht finde, habe ich immer noch ein As im Ärmel, was ich fragen kann.
Am Nachmittag war es dann Zeit, das Hirn wieder mit Natur zu verwöhnen und ich bin kurz vor Schließung zu einer Tour in die Cueva de los Verdes aufgebrochen. Wieder eine von diesen Lavahöhlen, die einfach unglaublich sind. Mit Licht- und Klanginstallation ist es einfach nur berührend. Besonders auch der kleine See mit der Spiegelung im Wasser und der optischen Täuschung, die dabei entsteht.
Tag 18 – Arousal im Gesang
Und weiter ging es mit den traumatischen Reaktionen im Nervensystem heute. Allerdings war heute nicht so viel Zeit, denn ich hatte mich zu einer Vulkanwanderung angemeldet und sie startete um 10:00 Uhr, am anderen Teil der Insel als der, wo ich lebte.
Ich war hochkonzertriert, voll motiviert und habe einiges geschafft. Spannend ist, sich anzuschauen, welche Stadien es innerhalb dieser Kaskade gibt. Sobald wir nicht mehr in einem ausgeglichen Zustand sind können wir die Kaskade in fünf Stadien einteilen.
- Arousal
- Flight or fight
- Freeze-Reaktion
- Tonische Immobilität
- Kollabierte Immobilität
- Ruhige Immobilität
Das sind ziemlich viele Unterschiede und sie sind zudem natürlich noch etwas anders ausgeprägt bei jedem Menschen, die die Vorerfahrungen sind ebenfalls unterschiedlich. Und die neurophysiologischen Vorgänge sind milde gesagt komplex. 😅
Ein bisschen traurig war ich schon, als ich losmusste, denn ich war mitten drin. Aber Natur ist eine großartige Ressource und die Wanderung lohnte sich auf so vielen Ebenen.
Tag 19 – Stress und Hormone
Der Tag fing wunderschön mit Sonne an.
Aber dann… So etwas wie heute hatte ich auf Lanzarote noch nicht erlebt. Es schüttete wie aus Kannen. Aber anscheinend nur bei uns unten im Charco del palo. So fiel es nicht besonders schwer drin zu bleiben, zu schreiben, zu kochen und es mir auf der Coach gemütlich zu machen.
Heute wurde es wieder ziemlich wissenschaftlich, denn ich versuchte Stress zu verstehen.
Was mir ja schon immer klar war war, dass es viel mit dem Hormonsystem zu tun hat. Das kenne ich übrigens gut seit den Wechseljahren.
Und jetzt ging es um die HPA-Achse. Ich möchte das hier nicht im Einzelnen erklären, aber ich kama heute wieder ein bisschen vom Hütchen zum Stöckchen. Aber es war total interessant, denn immer wieder kamen mir Ideen und Erlebnisse, die das Ganze in die Gesangspädagogik übertragen konnten.
Und dann fiel mir Peter Levine, der Begründer von Somatic Experiencing ein, der sich fragte, warum man Tiere in der freien Wildbahn nicht so wie Menschen traumatisieren kann. Ja, sie sterben oft früher als gezähmte Tiere, sie sind auch teils nicht so gesund, aber traumatisiert sind sie eher weniger. Es gibt eben doch große Unterschiede zwischen Tieren und Menschen, die wir bei all den Forschungen beachten sollten. Hier wieder ein kleiner Ausschnitt aus meinem Geschriebenen:
„Wir Menschen verhalten uns deutlich weniger instinktiv, denn wir können über Dinge reflektieren und zu einem gewissen Prozentsatz unser Verhalten daraufhin ausrichten. Wir können unsere Körperzustände sehr subjektiv wahrnehmen und belegen sie oft mit Interpretationen, die dem eigentlichen Körperzustand nicht entsprechen. Wir können Bilder von Vergangenheit und Zukunft heraufbeschwören, die unser Verhalten verändern und oftmals steuern, siehe predictive processing. Das bedeutet im blödesten Fall, dass wir Bedrohungen sehen und spüren, die nicht vorhanden sind, eine Gesangslehrerin, eine Übung, die Bühne, die Kolleg:innen.
Das bedeutet, dass wir gleichzeitig die alten phylogenetischen Programme von Abwehr und Schutz in unserem System haben, dass aber neuere und teils unerwartete Reaktionen aus dem Gesamtnervensystem und dem Gehirn dazu kommen.“
Das genauer zu verstehen hat für mich große Bedeutung für den Gesangsunterricht und die Art und Weise, wie wir mit unseren Sänger:innen umgehen.
Am Nachmittag ging ich dann noch raus. Liz Ott, die Wanderleiterin von gestern hatte mich eingeladen, mit ihr und den Hunden zu gehen. Den Weg, den sie mir eigentlich zeigen wollte, konnten wir wegen Überschwemmung nicht betreten, aber oberhalb von Guatiza am Friedhof stiegen wir bergan.
Es war eine wunderbare kleine Wanderung. Und wir kamen näher ins Gespräch. Wer weiß, wer weiß, es sieht so aus, als hätten wir Ideen für uns gemeinsam auf Lanzarote. Etwas mit Wandern und Singen. Manchmal ist es einfach unglaublich, wie sich Dinge einfach fügen.
Tag 20 – Neurobiologie
Zum Schreiben kam ich heute nicht allzuviel, denn ich war wieder mit Liz und einer kleinen Wandergruppe unterwegs.
Aber vorher schaffte ich doch noch Einiges, denn ich bin ein recht früher Vogel.
Weiter ging es mit Flucht- und Kampfreaktionen, den neuronalen Bahnen. Mir fielen immer wieder zwischendurch Beispiele ein, die wunderbar zu dem passten, was beschrieben wurde.
Einmal mehr wurde mir klar, wie eng manches, was Sänger:innen auf der Bühne erleben mit diesen neuronalen Pfaden verknüpft ist. Und aus einer starken sympathischen Aktivierung, ist das Singen in der Unterdruckventilfunktion eher nicht so easy bis unmöglich. Zumal explizit gesagt wurde, dass der Vagus in seiner motorischen Komponente aktiv wird, um zu knurren, zu fauchen, zu heulen und zu schreien.
Die Wanderung, die uns heute mehr in den Norden führte hatte unglaubliche Ausblicke. Wir stiegen ziemlich hoch und hatten einen phantastischen Blick auf die kleine Insel La Graciosa und auf der anderen Seite auf die Vulkanlandschaft rund um den Monte Corona. Das Meer war in beiden Richtungen zu sehen, die Landschaft war unglaublich und auch die sehr unkonventionelle Art, Landbau zu betreiben auf Lanzarote konnten wir aus nächster Nähe sehen. Die Ruhe dort oben war so bewegend, dass ich mehr als einmal Tränen in den Augen hatte
Und dann war ich auch noch auf den Hund gekommen. 😉
Liz vertraute mir Don Pepito an und wir verstanden uns wunderbar, auch wenn ich in meinem Leben noch nie etwas näher mit Hunden zu tun hatte. Aber wer weiß. Hier in Lanzarote scheint mir auf einmal so vieles möglich, was ich sonst gar nicht erst denke.
Den Abend verbrachte ich am Meer, ich stand und schaute, denn es war der letzte Abend und die Stimmungen um diese Zeit waren immer etwas sehr Besonderes für mich – jeden Tag erneut.
Tag 21 – Tränenreicher Abschied
Heute ging mein Flieger nach Hause. Die Nacht war schon nicht besonders gut und schreiben konnte ich heute morgen gar nicht mehr. Ich merkte mein Nervensystem an allen Ecken und Enden, und das nicht in einer positiven Art und Weise. Und doch genoss ich wieder den ersten Anblick „meiner“ Küste. Dies Ritual, jeden Tag zuerst ein Photo zu machen war wunderschön und jedes mal hüpfte mein Herz vor Neugier und Freude, wenn ich den Vorhang wegzog und sah, was sich heute für ein Schauspiel bot.
Ich saß auf der Terrasse und ließ die Zeit nochmal an mir vorbeiziehen. Und mir wurde einmal mehr klar, wie schnell es geht, wenn die Natur eine starke Ressource ist. Jeden Morgen hatte ich mich auf den Anblick des Meeres mit der Sonne und seinem dauerhafte Rauschen gefreut. Immer war es neu, nie war es langweilig und strahlte eine Ruhe und Konstanz aus, die mich durch den ganzen Tag begleitet hatte.
Ich packte meine Sachen zusammen, verabschiedete mich noch von Elske, die die gute Fee der Ferienwohnungen war und fuhr sehr früh zum Flughafen. Auch Elske war eine neue Bekanntschaft, die ich das nächste Mal unbedingt wieder treffen möchte. Wie ich ganz zum Schluss erfuhr, ist sie Fotografin. Da weiß ich ja schon, dass ich das nächste Mal mindestens eine Photosession mit ihr buchen werde, denn die Landschaft ist doch einfach nur der Hammer. Das gibt bestimmt großartige Stimmungen und Bilder.
So tolle Begegnungen, die ich mit nach Hause nehmen durfte.
Eine kleine Panikattacke als ich auf dem falschen Parkdeck am Flughafen landete, ein unglaublich freundlicher Helfer, der mich dann leitete, wie gut, dass ich genug Spanisch konnte und dann saß ich vor dem Gate. Erst auf der Außenterasse. Ich schaute mich um zum Meer, ich schaute zurück auf die Vulkane und hielt es irgendwann nicht mehr aus dort draußen. Ich wollte nicht gehen, ich wollte so dringend bleiben.
Ich kehrte zurück in die Halle und schrieb. Denn schreiben lässt mich erinnern, lässt mich vergessen, lässt mich aus meinem Herzen teilen.
Als der Flieger losfuhr zum Startbahn, konnte ich die Tränen nicht zurückhalten. Etwas auf dieser Insel und mein Prozess dort machten es mir schwer, loszulassen und wieder zu gehen. Ich fühlte mich verbunden mit der Landschaft, ja selbst mit der spanischen Sprache. Wo immer ich gewesen war, hatte ich so viel wie möglich Spanisch gesprochen. Es ist noch nicht besonders gut, ich komme noch nicht sehr weit, aber es fühlt sich an wie eine zweite Haut und das Bedürfnis, es zu hören und zu sprechen ist groß. Am Flughafen dachte und sprach ich immer noch Spanisch, und das obwohl ich wieder Deutsch hätte reden können.
Es scheint also mehr als klar zu sein: ich werde bald wiederkommen. Lanzarote volveré, nos vemos muy pronto. ❤️
6 Kommentare zu „Stimme und Nervensystem – mein Schreib-Retreat auf Lanzarote“
Liebe Hilkea, danke fürs Mitnehmen in deinen Prozess ! Ich freue mich sehr darüber mitlesen zu können.
Habs ganz gut auf Lanzerote !
Liebe Grüße,
Johanna
Pingback: KW02/2025: Alle TCS-Blogartikel - The Content Society
que hermosa crónica.Gracias por compartir.Te abrazo fuerte.Cecilia Gauna
Hola Ceci, muchas gracias por tu comentario y por leerlo. Un abrazo enorme para vos 🤗
Hallo Hilkea,
ich bin ja selbst Autorin und meine Neugier auf dein Retreat-Tagebuch hat mich direkt angesprochen (denn als solches habe ich es direkt eingeordnet, als ich die Zwischenüberschriften nach Tagen aufsteigend sah).
Ich mag deinen Schreibstil und deine persönlichen Gedanken zu deinem Buch, aber auch das Erleben auf Lanzarote, zeigen deine Persönlichkeit. Gefällt mir!
Deine Gedanken als Autorin beim Schreiben deines Buches – sie wäre fast schon ein eigenes Buch wert – das hast du dir durch diesen Blogartikel quasi selbst geschenkt 🙂
Sehr gefallen haben mir deine Tagesfotos, da du damit auch den Urlaub-trotz-Arbeits-Charakter deines Retreats unterstreichst 🙂
Ich wünsche dir viel Erfolg mit deinem Buch!
Viele Grüße Gabi
Liebe Gabi, was für eine schöne Rückmeldung, und dann noch von einer Autorin.
Das freut mich sehr zu lesen, dass die Ideen, die ich dabei hatte aufgegangen sind.
Und ja, die Bilder von dieser magischen Insel mussten einfach mit hinein, denn Lanzarote selbst hat mich unglaublich inspiriert beim Schreiben, selbst wenn es eher wissenschaftlich und keine Belletristik wird.
Und danke, dass du meine Gedanken schon wertvoll für ein eigenes Buch fändest. 🙏