Ja, ja, die Preise im Gesangsunterricht oder allgemein im Instrumentalunterricht.
Gerade hatte ich wieder eine Anfrage einer Mutter, die für ihre Tochter suchte. Ich nannte meinen Preis und bekam dann die Rückfrage: Bieten Sie auch eine kostenlose Probestunde an?
Mittlerweile antworte ich kurz, knapp und für meine Verhältnisse total gelassen: Nein, kostenlose Probestunden habe ich noch nie gegeben. Bei mir lernt man von der allerersten Stunde an etwas. Ich kann mir das nicht leisten.
Ihr wollt wissen, was ich am liebsten geschrieben hätte? Es hätte etwa so lauten können:
“Haben Sie Ihren Zahnarzt eigentlich schon einmal gefragt, warum er diese Preise nimmt? Und ob er nicht, bevor Sie sich entscheiden, ihm Ihre kostbaren Zähne anzuvertrauen, bitte eine kostenlose Füllung machen kann, damit Sie auch wissen, dass er seine Arbeit beherrscht und auch sonst auf Ihrer Wellenlänge liegt?”
Oder auch das Restaurant Ihrer Wahl, was Sie für ein 4-Gänge-Menü ausgewählt haben. Es möge doch mal bitte von allem, was Sie zu bestellen gedenken eine kleine Kostprobe schicken, damit Sie wissen, dass die überhaupt kochen können.
Auch der Maler möge Ihnen eine Wand erst einmal streichen, damit Sie wissen, ob er das gut und schnell genug kann, der Klempner kann das eine Waschbecken doch erstmal so anbringen und auch vom Elektriker könne man erwarten, dass er ein Zimmer mit richtigen Leitungen verlegen würde, bevor er den Auftrag von Ihnen bekommt. Wenn Sie nicht wissen, ob die Handwerker ihre Arbeit verstehen, kann es schließlich lebensgefährlich werden.
Uns allen würden bestimmt noch viele Beispiele einfallen. Doch das Fatale ist, dass niemand, der uns nach Probestunden fragt, jemals auf die Idee käme, das zu vergleichen.
Interessanterweise hat mich auch noch niemand nach meiner Ausbildung gefragt. Das ist das Erste, wofür ich mich interessiere, aber sei’s drum.
Aber vielleicht interessierst du dich ja dafür, was ich mache. Und ich habe doch etwas Kostenloses für dich, wenn auch keine Probestunde. Aber mein E-Book kostet dich nur deine E-Mail Adresse. 😉
Und neulich las ich dann bei einer entsprechenden Frage auf Facebook in einer Antwort auf einen Post: Ja, für Ivo Pogerelich oder Martha Agerich würde ich auch 100 € die Stunde bezahlen. Der Tonfall sollte heißen: aber bei dir, der du nicht berühmt bist, natürlich nicht.
Mal ganz abgesehen von der Frage, ob eine Weltklasse-Pianistin wie Martha Agerich nur 100 € verlangen würde und ob sie überhaupt eine gute Lehrkraft wäre, denn das ist schließlich nochmal ein komplett anderer Beruf.
Aber nun schauen wir mal ein wenig hinter die Kulissen, um zu erfahren, wie wir Musiker:innen auf die aberwitzige Idee kommen, dass wir so viel Geld nehmen, wo wir doch einfach Gott danken sollten, dass wir eine so schöne Stimme mitbekommen haben. Was hat eine studierte Musikerin wie ich getan, um sich diese Preise im Gesangsunterricht überhaupt zu erlauben?
Die ersten Musikerjahre
Sie beginnt meist in ihrer Kindheit. Da zahlen die Eltern dann den Instrumentalunterricht. Sie verbringt mehrere Stunden täglich an ihrem Instrument, denn gerade in den Fächern Klavier und Violine ist das wichtig. Gesungen wird oft nicht ganz so viel und häufig fängt man auch etwas später an. Glück gehabt.
Ich nehme jetzt mal mich als Beispiel. Ich fing mit 5 Jahren an, in einer musikalischen Früherziehung. So mit Glockenspiel und anderen tollen Dingen. Dann Blockflötengruppe bis zum Alter von 10 Jahren. Das Üben macht ja in dem Alter noch richtig Spaß, ist also keine Arbeit. Und überhaupt, das hat doch nichts mit den späteren Preisen zu tun. Ach ja?
Sie meinen, das zählt nicht? Blockflöte können Sie auch spielen und ein bisschen aufs Glockenspiel einhämmern haben Sie schon als Baby gemacht, mit Fröschen und so? Okay, dann streichen Sie es, wenn Sie den Unterschied nicht erkennen können, kein Problem für mich. Denn das war ja erst der Anfang.
Der Gitarrenunterricht beginnt
Denn dann wurde es ernst. Gitarrenunterricht. Jetzt ging es richtig mit dem Üben los. Zuerst 1/2 Stunde am Tag, dann pendelte es zwischen 0 und 5 Stunden am Tag, je nach Hormonschub, denn ich befand mich in der Pubertät. Okay, die eine oder andere Stunde fiel auch aus, weil ich nicht geübt hatte und meine Eltern und meinen Lehrer anschwindelte, dass ich krank sei.
Trotzdem wollte ich gern Gitarre studieren, übte die letzten Jahre wie närrisch, besuchte Meisterkurse, für die ich noch mehr übte. Dann machte ich die Aufnahmeprüfung – und fiel leider durch. Die Nerven waren es, denn ich war so nervös, dass meine Finger klamm und steif waren und mein Hirn leer. Tja, Pech gehabt, all die Übestunden anscheinend umsonst, wieder üben gehen.
Den Gesang entdeckt
Und dann entdeckte ich den Gesang. Eigentlich singe ich schon mein Leben lang, die Geschichte habe ich schon in meiner Story und meinem Warum erzählt. Und jetzt fängt es vielleicht erst für Sie an, interessant zu werden, was meine Preise im Gesangunterricht angeht.
Ich sang in vielen Chören, viele, viele Stunden Musik und Stimmtraining. Wochenendproben, Konzerte und Konzertreisen. Ach, stimmt, macht ja alles Spaß, hey, das können Sie doch heute nicht auf den Preis im Gesangunterricht umlegen, dass Sie auf Konzertreisen fahren durften!
Das Problem ist nur, wenn Sie all mein Üben, all mein Geld, was ich für Gesangsstunden ausgegeben habe, bevor ich anfangen DURFTE zu studieren, nicht mit einberechnen möchten, dann sollten Sie sich einen hobbysingenden Fliesenleger suchen, der Lust hat, in seiner Freizeit Gesang zu unterrichten. Das kann der bestimmt sehr gut, denn die Badezimmer klingen beim Singen richtig fein und da hat er Ahnung von der Resonanz der Stimme. Ob der allerdings bereit ist, seine Preise gegen die Preise im Gesangsunterricht zu tauschen? Da bin ich mir nicht so sicher.
Oder versuchen Sie es mit einem Arzt, der Geigenunterricht gibt, denn es gibt ja ganz tolle Ärzteorchester. Wenn die Zeit neben ihrem anspruchsvollen Beruf haben um noch zu geigen, dann kann das so schwer ja nicht sein.
Und wie ich oben schon schrieb, doch bei mir gibt es auch etwas für 0,- € und das ist mein E-Book:
Der Weg zum Gesangsstudium
Nun wollte ich also Gesang studieren. Nächster Schritt: vorbereiten auf die Aufnahmeprüfung. Gesangsunterricht nehmen, Korrepetition (da bezahlt man jemanden, dass er Klavier spielt, damit man seine Arien und Lieder zur Begleitung singen lernt). Und auch Klavierunterricht nehmen. Das machte ich ca. 3 Jahre, bevor ich dann auch im Studium noch mit Klavierunterricht wöchentlich weitermachte. Gehört zum Gesangsstudium dazu. Natürlich auch üben und Prüfung ablegen.
Die ganzen Gesangsstunden innerhalb des Studiums nicht hinzugezählt, denn die waren ja kostenlos. Die kosteten nur meine Zeit. Vom täglichen Üben schweige ich.
Nach dem Studium habe ich natürlich, wie sehr viele von uns, weiter Gesangsunterricht genommen. Bis zum heutigen Tag. Das liegt nicht daran, dass wir alle so schlecht sind, sondern, dass man sich weiter entwickeln möchte.
Ach und all die Fortbildungen, die ich machte, um weiter Anatomie, Physiologie, Psychologie, Pädagogik und Didaktik und nicht zu vergessen Körperpsychotherapie zu lernen, auch davon schweige ich. Ist ja kein Gesang und hat für meinen Preis im Gesangunterricht sicherlich keinerlei Relevanz.
Empfohlene Preise im Gesangsunterricht
Der DTKV (Deutscher Tonkünstlerverband) und auch freie Verbände von selbstständigen Musiker:innen empfehlen übrigens mittlerweile folgende Preise für Gesangsunterricht: 80-90 € für die 60 min. Stunde. 2022 lag es im DTKV Hessen noch etwas darunter. Das ist eine sehr schöne Broschüre, die auch einmal auflistet, was alles dazu gehört, wenn jemand selbstständig unterrichtet.
Und Musikunterricht ist preiswert, wenn ich mir dagegen die Honorare von Ärzt:innen, studierten Psycholog:innen, Therapeut:innen und Business Coaches anschaue. Glauben Sie wirklich, die könnten mehr, hätten mehr auf dem Kasten als wir?
Wollen wir unsere Kultur und unsere Musik wirklich auf dem Grabstein einer “Geiz ist Geil”-Mentalität opfern? Dazu fiel mir ein Zitat von Richard von Weizsäcker ein, der ein großer Fan der Kultur gewesen ist:
Unsere Kultur ist gewachsen wie ein kräftiger und vielgestalteter Mischwald. Er leistet seinen Beitrag zur lebensnotwendigen Frischluft.
Ernst vs. Spaß
Das Problem ist einfach, Singen macht Spaß, ist ein Hobby. Wenn Sie nicht singen und nicht singen können, tut das im Normalfall keinem weh. Es sei denn, Sie versuchen Ihre Umwelt mit falschen, lauten Tönen zu tyrannisieren. Aber Zahnschmerzen, Herzfehler, kaputte Rücken und Wasserschäden, das sind doch die wichtigen Dinge im Leben, dafür geben wir selbstverständlich unser Geld aus.
Und jetzt zeigen Sie mir einen Zahnarzt, der schon in der Kindheit anfing, das Zähne bohren zu üben, einen Fliesenleger, der als 9-Jähriger dringend die Fliesen im heimischen Bad verlegen wollte und eine Ärztin, die schon mit 14 ihre Prüfung für Anatomie vorbereitete.
Bevor Sie mich also das nächste Mal nach einer kostenlosen Probestunde fragen, fragen Sie sich, würden Sie diese Art von Frage auch Ihrem Zahnarzt und Fliesenleger stellen wollen? Und wenn nein, warum eigentlich nicht?
6 Kommentare zu „Geben Sie kostenlose Probestunden? Preise im Gesangsunterricht“
Danke, Hilkea, du spichst mir aus dem Herzen!
Ich musiziere zwar nicht, sondern gehöre der schreibenden Zunft an, doch auch hier lebt die seltsame Annahme, Kunst dürfe kostenlos erwartet, konsumiert und zur Unterhaltung genutzt werden. Daher: Chapeau! Ich stimme dir zu und gemeinsam werden wir stärker und stehen ein für unseren Anspruch, auch für das, was uns Spaß macht, angemessen honoriert zu werden. Einfach, weil wir das wert sind!
Gruß Gabi
Ja, das ist wirklich eine Frage der gegenseitigen Wertschätzung.
Und manchmal auch des darüber Nachdenkens, deshalb habe ich diese Beispiele eingebaut.
Man ist etwas gewöhnt – schlimm genug – und schaltet den Kopf aus
Und diese Geschichte mit dem Spaß, manchmal denke ich, das ist typisch Deutsch: Arbeit ist, wenn es schwerfällt, wenn man sich davon erholen muss und es keinen Spaß macht.
Wenn die wüssten, wie schwer Singen und Schreiben manchmal ist, wenn man das als Profi macht
Liebe Hilkea,
Jetzt bin ich eben über unsere Gesanspädagogen-FB-Seite auf deinen Blog gestoßen. Danke für dieses Idee!
Ich bin tatsächlich nur zwei Mal – und zwar vor vielen Jahren – nach einer kostenlosen Probestunde gefragt worden. Das waren Mamas die wohl „Probestundenhopping“ betrieben und die waren auch leicht verschnupft, als ich ablehnte. „Aber Frau X und Herr Y machen doch auch ….“ „Ah, haben die Stunden dort nicht zugesagt?“ „Äh, ja schon … also eher nein …“
Wir müssten eigentlich für die Kennenlernstunde das Doppelte veranschlagen!!
Ich nehme tatsächlich etwas weniger als für normale Stunden, behalte mir aber auch vor im Zweifelsfall die Probestunde nach 30 Minuten zu beenden.
Und diese Kennenlernstunden lasse ich bar bezahlen (Gerne gegen Quittung).
Einfach herzliche Grüße aus Freiburg von
Michaela
Liebe Michaela,
Wie schön, dass du durch meinen Post auf meinen Blog gekommen bist, das freut mich sehr.
Ja, in meinem jüngsten Fall war es auch eine Mama, die suchte. Und ich habe es wirklich nicht mehr oft, dass diese Frage kommt, aber in unserem Gesangslehrer:innenforum taucht sie einfach häufig auf und so habe ich gedacht, ich “rante” dazu mal ein wenig, da ich diese Schreibform mag, da sie vieles etwas überspitzt auf den Punkt bringt.
Hallo Hilkea,
die Vergleiche, die Sie bringen sind sehr einprägsam und einleuchtend. Ich hab mich beim Lesen fast weggeschmissen vor lachen.
Da ich der Fraktion “leise weil falsch” angehöre, habe ich Hochachtung vor allen, die singen können. Und dies auch Menschen wie mir beizubringen ist noch mal eine ganz eigene Kunst. Ich wünsche viele begabte, begeisterte und zahlende Sänger:innen.
P.S.: beim Arzt zahlt man ja oft gar nichts. kostet ja nix. (auch wenn die Kasse es zahlt)
Vielen lieben Dank für den Kommentar. Ja, ich hab mich bemüht bei dem Thema wenigstens ein wenig Leichtigkeit reinzubringen. Und auf der anderen Seite macht es das Ganze auch so deutlich.
Übrigens, Singen kann man lernen, es muss nicht leise und falsch bleiben 😉
Und vielen Dank für die guten Wünsche, glücklicherweise habe ich über die vielen Jahre sehr viele Sänger:innen, die meinen Unterricht schätzen und nicht auf die Idee kommen würden, mit mir über Preise oder kostenlose Probestunden zu debattieren 🙏