Polyvagaltheorie beim Singen

Polyvagaltheorie beim Singen, das ist ein spannendes Thema.

Ich bin immer wieder dabei, das Nervensystem, die Polyvagaltheorie von Stephen W. Porges noch etwas konkreter in das Singen zu integrieren.

Man könnte auch sagen, Aspekte der Sicherheit, die für unser Leben immer eine Rolle spielen, auch im Singen bewusst zu machen und anzuwenden. Damit bekommen wir neue Strategien, sowohl für unsere Gesangstechnik als auch für unser SEIN auf der Bühne. Und dann lief mir ein witziges tool über den Weg.

Es gibt eine Seite, auf der kann man sich zu einem Stichwort Werbeslogans produzieren lassen. Das habe ich sofort ausprobiert.

Im online Business gibt es den so genannten Claim – so nennt man den Slogan hier. Der Claim steckt genau ab, was wir machen. Kurz, knapp und informativ beantwortet er die Frage: Was bekommst du bei mir?

  • Entweder prägnant, originell, auf den Punkt
  • oder berührend und warmherzig
  • oder sinnlos und witzig
  • oder schlau
  • oder oder oder.

Da kann Frau wählen, was zum Business passt, was zur eigenen Person, zur eigenen personal brand, was zum Produkt, was zum Angebot passt.

Ich habe natürlich Stimme eingegeben. Und bei diesem Stichwort kamen über 1000 kleine Floskeln. 😅

Teilweise kannte ich die Werbeslogans noch aus meiner Jugend, teilweise war es aberwitzig und komplett sinnfrei.

Es inspirierte mich zu einem Post über das autonome Nervensystem als die 3 Farben grün, gelb und rot auftauchten. Etwas zum Thema Polyvagaltheorie und Singen.

Nervensystem und Stimme, die beiden sind sehr nah verwandt. Und ich selbst finde es sehr hilfreich, das Nervensystem immer mit einzubeziehen.

Nicht nur, weil wir als Sänger:innen das Lampenfieber auf der Bühne kennen, nein, auch weil die Stimme so eng mit unserem autonomen Nervensystem verknüpft ist, dass allein die Art wie wir singen, die Art wie wir beim Singen Denken und Fühlen etwas mit unserer Stimme macht.

Das gilt auch ganz besonders für hohe Töne, denn die sind sehr schnell mit bestimmten Nervensystemzuständen assoziiert. Und man kann dies Wissen genau dafür super nutzen

Diese Einflüsse können sich störend auswirken oder wir können sie teilweise gar nicht bemerken. Und dann kann das Wissen darum uns unglaublich helfen.

Ich beschäftige mich schon lange mit diesen Themen. Wie ich dazu gekommen bin? Lies gern mein Warum, meine persönliche Story.

Doch schauen wir uns jetzt einmal den Zusammenhang zwischen Polyvagaltheorie und Singen oder allgemein Stimme kurz und prägnant mit ein paar zünftigen Werbeslogans an:

Text: Stimme - grüner wirds nicht

Ein Spruch, den ich noch aus meiner Kindheit kenne, wenn ich mal wieder träumend an der Ampel stand und die Welt um mich herum vergessen hatte. Dann die Stimme aus dem Off: grüner wirds nicht.

Ups, kleiner Schreck, da war ich wohl mit meinen Gedanken in anderen Welten spazieren.

Wenn wir jetzt die Polyvagaltheorie anschauen können wir kurz und knapp sagen:

Text: Grün für die Sicherheit und den ventralen Vagus

Das ist der Zustand, den wir vom Nervensystem her brauchen, um gut singen zu können und uns auf der Bühne in Sicherheit zu fühlen. Unsere Stimme wird innerviert vom Vagus, er ist also für unsere Stimme einer der wichtigsten Nerven.

Und in Verbindung mit ihm können wir sehr gut in Kontakt sein, zu uns selbst und zu anderen. Das ist gerade auf der Bühne wunderbar, denn wir haben ja oft ein riesiges Ensemble von Solisten, Chor und Orchester, die mit uns sind. Und dann noch die Verbindung zu uns selbst, zur Musik und zum Publikum. So viele wunderbare Möglichkeiten für Kontakt.

Und dann die nächste Farbe: Gelb oder orange:

Text Stimme, das Gelbe vom Ei

Um ehrlich zu sein, ich mag das Gelbe vom Ei immer am liebsten. Wenn ich Spiegelei esse hebe ich es mir bis ganz zum Schluss auf und verschlinge es dann in einem großen Biss. Doch ich verliere mich gerade ein wenig … 😉

Weiter mit dem Nervensystem.

Manche glauben, gelb sei die beste Art, um auf der Bühne zu stehen. Ja….. aber nur wenn die Dominanz beim grünen ventralen Vagus liegt.

Was meine ich damit? Und was symbolisiert eigentlich gelb?

Text: Gelb für die Gefahr und den Sympathikus

Gelb symbolisiert den Sympathikus in unserem autonomen Nervensystem. Und da bin ich ganz schnell im Kampf- und Fluchtmodus gefangen. Das hat viel Energie, natürlich, denn schließlich will ich mich vor dem Säbelzahntiger in Sicherheit bringen.

Aber da wir auf der Bühne eigentlich keinen Säbelzahntiger erwarten müssen, könnten wir uns in Sicherheit fühlen. Doch manchmal lässt uns unsere Gesangstechnik nicht sicher fühlen, manchmal sind es die anderen Menschen und manchmal sind es aber auch wir, weil wir uns selbst in diese dominante sympathische Energie bringen.

Wenn der grüne, ventrale Vagus die Dominanz haben darf, passiert das, was wir uns wohl alle auf der Bühne wünschen: ein energievolles Miteinander, voller Esprit und Spielfreude. Die Kreativität fließt, wir fühlen uns energetisch, voll Wachheit und Kraft.

Die Koloraturen flutschen, die hohen Töne sind ein energievoller Spaß. Wir fühlen uns unbesiegbar.

Und dann kommt rot. Ich glaube, ich sehe rot:

Text: Stimme - jetzt bloß nicht rot werden

Also wenn rot werden das einzige wäre, was uns dieser Zustand beschert, dann wäre es ja nicht so schlimm. Dafür gibt es auf der Bühne die Schminke. Doch leider symbolisiert Rot noch etwas Anderes:

Text: Rot für Lebensgefahr und den dorsalen Vagus

Das ist der Zustand, der aus dem dorsalen Vagus entstehen kann. Wenn wir uns in Lebensgefahr befinden und nicht flüchten oder uns verteidigen können, dann erstarren wir. Ein Freeze entsteht. Äußerst ungünstiger Zustand auf der Bühne. Dann sind wir wie ferngesteuert, haben keine Kontrolle mehr über unsere Stimme. Und da ist das rot werden noch eine der harmlosesten Reaktionen aus dem autonomen Nervensystem.

Doch auch dies hat einen positiven Aspekt, wenn wir mal wieder Grün die Oberhand lassen. Dann sind wir in der Lage uns in Stille und tiefe Meditation zu begeben. Und auch das können wir auf der Bühne erleben, wenn wir ganz mit uns und unserer Stimmempfindung verschmelzen können. Wir tauchen in absoluter Stille und Ruhe in die Musik ein. Es ist ein wunderschönes Miteinander von Stimme, Mensch, Musik, Selbstwahrnehmung.

Heute morgen las ich einen Beitrag auf Instagram von der Sängerin Ulrike Malotta, der mir diesen Zustand zu verdeutlichen schien:

Das Unglaubliche ist geschehen: Es bereitet mir die größte Freude, die Phrasen noch langsamer, noch leiser, noch atmosphärischer, noch spiritueller zu gestalten!

Ich kriege nicht genug davon, habe Mut und unglaublichen Spaß daran, jeden einzelnen Ton, jede Silbe, jede Pause auszugestalten und zu genießen. Was für ein Glücksgefühl! Aber das Schönste überhaupt ist, dass ich jetzt noch deutlicher spüre, wie die Zuhörer sich nicht wagen zu bewegen, wie sie förmlich den Atem anhalten und die Zeit stillsteht.

Diese Stille von hunderten und tausenden von Menschen in einem Raum, die ich mit kreieren darf, ist unbezahlbar.
Und danach der erste kollektive tiefe Atemzug des Saals, wenn die Spannung sich auflösen darf…

Ulrike Malotta auf Instagram

Das hat mich tief berührt, als ich es las.

Ich bekam als junge Chorsängerin eine solche Situation einmal auf der Bühne mit. Eine Sängerin sang das Agnus Dei in der h-Moll Messe von Bach in diesem Zustand der absoluten Verbundenheit mit sich, dem Geiger, der Musik, dass man in der riesigen Kirche eine Stecknadel hätte fallen hören können.

Ich hoffe, es ist klar geworden, dass keiner von diesen Zuständen “böse” sein muss. Es ist eine Frage der Dominanz von Grün, nicht dass immer alles nur grün sein darf.

Grün ist als Grundzustand, als Grundsubstanz wichtig. Doch wir brauchen Gelb, wenn wir auf der Bühne stehen. Für manche Musik und manche Szene ist auch Rot ganz wunderbar, wenn es um Tiefe und eine Art Selbstvergessenheit und Dienst an der Musik geht.

Aber auch beim konzentrierten Üben können wir manchmal in diese Art von ruhigem, stillen Flow kommen.

All das sind Themen, die uns als Sänger:innen rund um das Thema Polyvagaltheorie und Singen begegnen.

Wenn du es ausführlicher und komplexer lesen möchtest, kann ich dir meinen Artikel Polyvagaltheorie in der Stimme – Hirnnerven als Helfer beim Singen empfehlen.


Möchtest du mich in meiner Arbeit kennenlernen? Dich mit dem Nervensystem, der Stimme und vor allem den hohen Tönen beschäftigen? Dann schaue, ob mein Selbstlern-Kurs “Hohe Töne sicher singen” das Richtige für dich ist.

Vorlage Hohe Töne Kurs

Und am Ende noch die Frage an dich:

Ich freue mich sehr über Kommentare und Kontaktaufnahme. Ganz im Sinn von grün: lasst und miteinander vernetzen und kommunizieren 🙏❤️

6 Kommentare zu „Polyvagaltheorie beim Singen“

  1. Liebe Hilkea, so ein spannender Artikel, danke!
    Mir kam immer wieder der Gedanke, dass das, was du über grün, gelb und rot beim Singen schreibst, für so viele Bereiche unseres Lebens gilt. (Vielleicht sogar für alle?)

    1. Liebe Judith,
      da hast du absolut recht. Es gilt für Beziehungen, es gilt für jede Art von Coaching, für podcasting, für Vorträge halten usw.
      Ich habe darüber auch schon einmal einen kurzen Impuls-Vortrag bei meinen Joint Forces Online Unternehmerinnen gehalten, weil das ein ganz wichtiger Aspekt ist, wenn man das in der Stimme hört, wie man auf Stimme in Seminaren reagiert.
      In welcher “Farbe” jemand ist, kann man hören und das eigene Nervensystem reagiert darauf immer, ob man es bewusst wahrnimmt oder nicht.
      Ich habe schon Kurse nicht gemacht oder gekauft, weil ich wusste, die Stimme bringt mich zu oft in dunkelorange und regulieren ist nicht so einfach 😅

  2. Liebe Hilkea, mir ist bei deinem Blogartikel eine Geschichte aus meinem Sprechtraining eingefallen. Im Rahmen meiner Ausbildung an einer Journalistenschule hatten wir auch Sprechtraining, um uns auf eine mögliche Karriere im Radio vorzubereiten. Zwei Semester lang bin ich jede Woche zu meiner Trainerin geradelt. Ich mochte die Arbeit mit ihr sehr.

    Einmal hat sie mich am Ende einer Stunde gefragt: “Djuke, wie geht es dir eigentlich?” – “Gut”, sagte ich. Die schnelle Standardantwort. Und sie hat gesagt: “Ich frage, weil deine Stimme heute ganz anders war als sonst. Ist wirklich alles in Ordnung?”
    Und dann habe ich geweint. Denn ich hatte tatsächlich etwas Großes, Belastendes mit mir rumgetragen.

    Ich weiß nicht mehr, ob ich dann mit ihr darüber gesprochen habe. Aber ich weiß noch, dass ich wahnsinnig beeindruckt davon war, dass sie an meiner Stimme gehört hat: Da stimmt was nicht (im übertragenen und dann auch ganz wörtlichen Sinn!). Seitdem weiß ich, dass Stimme und Nervensystem sehr eng miteinander zusammenhängen.

    1. Ja, Djuke, du hast recht. Das ist zu hören, im positiven wie im nicht so positiven Sinn.
      Und das Nervensystem reagiert immer, ob wir es mitbekommen oder nicht.
      Wenn Menschen aus meinen Gesangsstunden rausgehen, haben sie oft ganz andere Sprechstimmen und ihre Gemütslage ist eigentlich immer anders. Und das liegt nicht nur an den Stimmübungen oder der schönen Musik, die sie gerade gesungen haben.
      Wie toll, dass sie so eine Sensibilität hatte, deine Trainerin 🤗

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